Was ist eigentlich ein Designathon oder warum wir kreatives Denken fördern müssen

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Ich kenne Gisèle Legionnet-Klees seit ungefähr zwei Jahren persönlich. Das muss man bei solchen Begegnungen ja immer dazu sagen, denn virtuell kennen wir uns über die sozialen Netzwerke schon deutlich länger. Schon damals erzählte sie mir von der Idee des Designathons. Mittlerweile hat sie einige dieser Workshops für Kinder durchgeführt – und ist mitten in den Vorbereitungen für den nächsten am 17.7. in Düsseldorf auf dem Asphaltfestival. In der vergangenen Woche haben wir uns mal wieder persönlich getroffen – auf einen (Eis-)Kaffee im schönen Unterbilk.
Was ist das genau: ein Designathon?
Gisèle: Das sind Workshops für Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren, die in der Regel zwischen fünf und sechs Stunden dauern. In dem Workshop gehen wir durch verschiedene Arbeitsphasen. Gedanken öffnen, konzentrieren auf einzelne Aspekte, Lösungen überlegen, zeichnen, schreiben, diskutieren und basteln. Wir haben immer einen kleinen Koffer mit Werkzeug, elektrischen Sachen und demnächst auch digitalen Bausteinen dabei. Die Kinder bringen selbst auch Sachen wie Deckel, Pappen, Schuhkartons, leere Flaschen etc. mit und dann bauen wir einen Prototyp, so dass die Kinder mit Händen ihre Idee zu fassen bekommen. Das ist für alle immer der größte Aha-Moment.
Um welche Ideen geht es?
Wir glauben, dass Kreativität sich nicht nur in Weihnachtsbasteleien entfalten soll, sondern auch an ernsthaften Fragestellungen unserer Zeit. Im Rahmen dieser Workshops erarbeiten wir mit den Kindern Lösungen für diese echten Probleme. Denn: Kinder machen sich viele Gedanken und sind glücklich, ernsthafte Themen mit ihren Mitteln bearbeiten können.
Da kommt also ein Siebenjähriger zu eurem Workshop und will mit euch die Welt retten. Was entsteht dabei?
Wir überlegen uns ein Hauptthema: sauberes Wasser, Kreislaufwirtschaft, Nahrung oder Mobilität in der Stadt. Das Gute: Kinder wissen viel, gucken Nachrichten, sind im Internet unterwegs, jedes Kind fährt Fahrrad, jedes Kind hat schon mal Tomaten im Supermarkt gekauft. Dann geben wir ihnen ein bisschen Kontext, zeigen Fotos und fragen: Was davon ist für dich besonders wichtig? Was würdest du gerne verbessern? Und was könntest du dafür erfinden? Es passiert immer wieder, dass Ideen aus den Workshops wenig später in meinem Facebook-Feed als echte Produkte auftauchen.
Hast du ein Beispiel?
Bei einem Designathon in Dublin entstand zum Thema Wiederverwertung von Plastikmüll der Brickinator. Aus dem Müll sind richtige Bausteine zum Häuserbauen entstanden – genial: Plastik hat super Eigenschaften als Dämmmaterial, das Müllaufkommen sinkt und es entstehen Häuser. Ein Kind hat sich das ausgedacht. Und mittlerweile gibt es solche Steine auch tatsächlich. In Kolumbien.
Designathons wecken Kreativität, die jeder Mensch in sich hat. Genau dieser Prozess kommt im Erwachsenenleben, in dem jeder sehr spezialisiert unterwegs ist, zu kurz und auch die Schule ist dafür nicht ausgerichtet.
Da schimmert Kritik am derzeitigen Schulsystem durch. 
Ich bin selbst Lehrer- und Professorentochter und es gibt viele gute Schulen und ganz viele Lehrer, die einen wunderbaren Job machen. Es ist vielleicht eher das System, das tendenziell unterfinanziert ist, nicht auf die Vielfalt der Schülerbiographien eingehen kann und im Kampf um messbare Ergebnisse spielt Kreativität nicht unbedingt die wichtigste Rolle. Aber: Es bewegt sich gerade viel, ich glaube, dass Designathons bald in einer Schule durchgeführt werden können.
Ist das dein Ziel?
Im heutigen Zeitalter, in dem künstliche Intelligenz unser Arbeitsleben noch einmal stark verändern wird, sollten wir darüber im Klaren sein, dass unsere Kreativität eine wichtige Ressource ist. Anstatt Kreativität zu ersticken, sollten wir diese eher systematisch auf- und ausbauen. Deshalb möchte ich vor allem mit Lehrern zu arbeiten, damit diese die Vorgehensweise des Design Thinkings in ihre Praxis integrieren.
Wie viele Kinder können an einem Designathon teilnehmen?
Bei unserem nächsten Event auf dem Asphalt-Festival, die Stadtnomaden, sind wir 15 Kinder – eine gute Größe. Mit 30 Kindern – die ungefähre Schulklassengröße – funktioniert das auch gut. Und in Amsterdam haben wir auch schon mal mehr als 100 Kinder gehabt. Eine Gruppe mit weniger als zehn Kindern macht aber wenig Sinn – da fehlt es an der Vielfalt der Ideen.
Was kostet die Teilnahme?
Wirklich jedes Kind soll teilnehmen können, deshalb organisieren wir die Finanzierung über Stiftungen, Unternehmen etc. Wir sind derzeit in Deutschland dabei, feste Partner zu finden, mit denen wir dann regelmäßig hier in NRW, Berlin, aber auch München Designathons durchführen können.
Wie bist du auf die Idee gekommen?
Ich habe lange in der Industrie gearbeitet und gelernt: Wenn man das Erfinden den Ingenieuren überlässt, dann kommt da viel heraus, aber nur wenige Ideen, die das große Ganze berücksichtigen. Kurz darauf habe ich in Amsterdam eine Masterclass zum Thema „Creative Leadership“ absolviert. Mit in dem Kurs war die Erfinderin des Designathons für Kinder. Ich fand die Idee fantastisch und habe mir vorgenommen, das in Deutschland zu etablieren.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Für die nahe Zukunft stabile Partnerschaften, um den Designathon in alle Schulcurricula zu integrieren und das Format auf die Teenager erweitern, da diese davon auch sehr profitieren werden.
Generell: Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft, den Mut besitzen, die Bedürfnisse und die Fantasie unserer Kinder ernst zu nehmen.
Gisèle, vielen Dank und weiterhin viel Erfolg!
Die nächsten Designathons von Gisèle finden im Rahmen des Düsseldorfer Asphalt-Festivals statt. Am Montag, den 17. Juli geht es um Mobilität in der Stadt, am Dienstag um Essen und am Mittwoch um Müll. Hier gibt es die Infos zur Anmeldung.

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