Die Kunst des guten Erzählens am Beispiel von Helgoland

Zum ersten Mal war ich als Mitglied der Theater-AG meiner Schule auf Helgoland. Wir sollten dort unser Stück aufführen – „Der Geizige“ von Molière. Danach folgten noch einige Besuche. Und nach jedem Besuch auf Deutschlands einziger Hochseeinsel fuhr ich mit dem Gefühl: War schön, aber ich muss wiederkommen. Weil sie so schön ist, ich fasziniert bin von der Leere, wenn die Tagesbesucher wieder in ihre Katamarane gestiegen sind, weil es dann doch noch so viel Unentdecktes gibt. Und nach der Lektüre von Isabel Bogdans neuem Buch „Mein Helgoland“ habe ich nun noch ganz viele andere Gründe gefunden, die Insel noch einmal zu besuchen.

“Mein Helgoland” ist eine Erzählung von Isabel Bodgan, die lange Zeit vor allem als Übersetzerin tätig war. Als sie vor einigen Jahren selbst einen Roman veröffentlichte, wurde der gleich zum zum Bestseller. (Sie ist zudem eine Bloggerin der ersten Stunde, aber das ist eine ganz andere Geschichte.) Bodgan erzählt über ihr Helgoland, das sie sehr stark mit dem Schreiben verbindet, denn dort verbrachte sie die eine oder andere Schreibzeit – allein und mit befreundeten Autor*innen. Und deshalb erzählt sie nicht nur von Helgoland, sondern auch vom Schreiben, worauf es ankommt, was ihr hilft, wie Romane und Geschichten entstehen. Das Allerschönste an dem Buch sind die Parallelen, die sie zieht, zwischen dem Geschichten erzählen, dem Schreiben und einem Besuch auf Helgoland. Was es für gutes Storytelling benötigt – auch hierfür liefert sie Inspiration.

„Schreiben ist auch eine Insel. Man ist allein mit dem Text, abseits von allem anderen, und man bleibt gedanklich auch dann, wenn man gerade nicht am Schreibtisch sitzt, immer irgendwie bei der Geschichte, bei den Figuren, bei dem Thema, mit dem man sich gerade befasst. Man findet im Alltag plötzlich Dinge, die man für den aktuellen Roman gebrauchen kann, man hält immer die Augen offen nach verwendbarem Material (…).“

Viele dieser unverwechselbaren Helgoland-Momente bringt sie mit dem Schreiben in Verbindung. Die Düne als Abschweifung, Nebenthema, die dadurch zum heimlichen Star der Geschichte wird. Sie verdeutlicht das am Besuch in den Bunkergewölben von Helgoland: „Für eine gute Geschichte muss man ebenfalls tief hinuntergehen, mitten rein ins Fundament. Dahin, wo die Verletzten und die Toten sind. Wo die Traumata sitzen. Man muss das nicht alles im Detail erzählen, aber als Autorin muss ich wissen, wie das Fundament aussieht. Ich muss wissen, in welchem tiefen Loch meine Figuren gesessen und sich zu Tode gefürchtet haben.“

Ein bisschen Unterstützung holt sie sich dabei von Helgolands berühmtestem Autor James Krüss, vor allem, wenn es um die Kunst des Erzählens geht und zitiert ihn wie folgt: „Kästner hat mir sehr viele Ratschläge erteilt, wie man Kinderbücher schreiben muss. Zum Glück habe ich keinen einzigen seiner Ratschläge befolgt. Denn jeder muss sich seine eigenen Rezepte machen.“

Zum Schluss findet Isabel Bogdan eine wunderbare Parallele zwischen dem drohenden Ende des Aufenthalts auf der Insel und der Frage, wann eine Geschichte eigentlich fertig ist. „Fertig ist man nie, man kann immer noch weitermachen, immer noch mal überarbeiten, etwas ergänzen, streichen, komplett ändern. Wann ist es fertig? Fertig ist immer auch eine Entscheidung (powered by deadlines).“

Hier kann ich wiederum Parallelen erkennen: Fertig werde ich mit Helgoland nie. Aber ich entscheide mich dafür, in das Schiff zu steigen und vorerst zurückzufahren. Genauso wie ich jetzt der Meinung bin, dass ich dir am Ende dieses Textes den Link zum Buch darreiche, den Fun-Fact, dass die Ärzte in der ersten Demofassung des Songs „Westerland“ Helgoland besungen haben und einen dazugehörigen Youtube-Beweis. Viel Spaß mit dem Ohrwurm.

(Dieser Text war in einer abgewandelten Version Teil meines Newsletters, in dem ich jede Woche Inspiration, Best Practice und Tipps und Tricks zur Digitalen Kommunikation verschicke. Hier kannst du ihn abonnieren.)

Ciao oder eine Anleitung zur perfekten Empörung auf Twitter

„Euer Ernst, @diezeitung?“, „Einfach nur asozial“, „Das ist ein Schlag in die Fresse von Feministinnen, und falls ihr euch fragt, wie misogyn und erbärmlich männliche Journalisten noch werden können, Hans Benedek zeigt es eindrucksvoll“. Das sind nur drei von insgesamt 61 Tweets, die die Autorin Johanna Adorján in ihrem Buch „Ciao“ verfasst hat. Sie beschreiben den Shitstorm, der den in die Jahre gekommenen Feuilleton-Redakteur Hans Benedek trifft. Jeder einzelne dort abgedruckte Tweet ist so auf den Punkt formuliert – wie man Empörung über alte, weiße Männer und Redaktionen eben nur auf Twitter findet. Falls du also mal Inspiration für Beschimpfungen suchst – das Buch ist die perfekte Quelle.

„Ciao“ ist eine Mediensatire: Kulturredakteur merkt nicht, dass er den aktuellen Zeitgeist nicht mehr trifft, obwohl er sich redlich bemüht und sich sogar regelmäßig mit Instagram-Stars trifft. Und dann wird ihm auch noch eine Chefin vor die Nase gesetzt, die plötzlich Spesenabrechnungen nicht mehr durchgehen lässt. Kein Wunder, dass sein Vorhaben, eine 24-jährige Feministin zu porträtieren, gehörig schief geht.

Adorján wirft einige der Fragen auf, über die so oder ähnlich aktuell diskutiert wird: Wie halten mit dem Gendern? Wie umgehen mit Veganern in der Familie? Darf jeder zu allem eine Meinung haben und dürfen alte Männer junge Feministinnen porträtieren? Passen Twerken und Feminismus zusammen? Und warum muss ein Kulturredakteur allen Ernstes in die Onlineredaktion „abgeschoben“ werden? Haben wir noch 2016 oder wie?

Vielleicht hast du demnächst ein bisschen Zeit, um mit „Ciao“ in den Medienbetrieb abzutauchen (Buch bitte beim Buchhändler um die Ecke kaufen!). Und wenn du Antworten auf die oben genannten Fragen gefunden hast und drüber reden magst, lass es mich wissen.

(Diese oder ähnliche Buchempfehlungen gibt es immer wieder auch in meinem Newsletter. Hier kannst du ihn abonnieren.)

„Kill your Darlings“ – kannst du dich von deinen Lieblingen trennen?

Nach gerade einmal acht Monaten ist Schluss: Fleets, die Twitter-Variante von Instastories, wurde wieder abgeschaltet. Gerade einmal acht Monate hat Twitter Fleets gegeben und gehofft mit diesem niederschwelligen Feature die Menschen dazu zu animieren, ihre Gedanken zu äußern. „We hoped Fleets would help more people feel comfortable joining the conversation on Twitter.“ Hat nicht funktioniert. Am 3. August wurde die Funktion abgeschaltet.

Das ist aus verschiedenen Gründen recht erstaunlich. Zum einen wundert es mich, dass Twitter nicht erst einmal versucht hat, das Feature zu verbessern, weitere Funktionalitäten hinzuzufügen oder es stärker in den „Markt“ zu drücken. Andere Netzwerke gehen damit ganz anders um: siehe Instagrams Bemühungen, Reels zu etablieren. Fleets müssen ein derart großer Flop gewesen sein, dass die Entwickler keine Hoffnung gehabt haben, das Ruder noch herumreißen zu können.

Es zeigt außerdem: Der Launch neuer Funktionen sorgt nicht unbedingt für neue Nutzergruppen. Nur weil man ein Feature kopiert und integriert, heißt das noch lange nicht, dass Nutzerinnen und Nutzer ihre Gewohnheiten verändern.

Und noch eine Sache zeigt die Rolle rückwärts von Twitter, die Heiko Scherer auf Twitter ziemlich gut auf den Punkt gebracht hat: „Rolling back #Fleets just shows how good @Twitter product development became – not just adding stuff but killing it rather sooner than later is a real skill.“

Kill your darlings – das Prinzip, das die einen sicherlich vom Schreiben kennen – von US-Schriftsteller Stephen King stammt folgendes treffendes Zitat: „Kill your darlings, kill your darlings, even when it breaks your egocentric little scribbler’s heart, kill your darlings.“ Ich bewundere beispielsweise mit welcher Konsequenz die Autorin Juli Zeh mit ihren eigenem Werk umgehen kann, wenn es darum geht, es veröffentlichungstauglich aufzubereiten (Im Hotel-Matze-Podcast erzählt sie es sehr anschaulich).

Die anderen kennen die Kill-your-Darlings-Methode vermutlich aus dem Innovationsmanagement. Ideen sollen rational bewertet und dann auch schonungslos aussortiert werden, egal, wie lieb gewonnen man die jeweilige Idee hat. Dabei helfen folgende Fragen: Warum ist die Idee sinnvoll? Wie kann sie umgesetzt werden und wie trägt sie dazu bei, meine Ziele zu erreichen? Hat die Idee nach einer bestimmten Zeit die gesetzten Ziele erfüllt?

Egal woher: Die eigenen Projekte, lieb gewonnene Gewohnheiten – es kann sinnvoll sein, diese und die eigenen Handlungen von Zeit zu Zeit zu hinterfragen und so objektiv wie möglich zu bewerten. In einigen Fällen kann dabei auch eine dritte Person helfen. Von welchen „Darlings“ hast du dich zuletzt getrennt?

(Dieser Text erschien zuerst in abgewandelter Form in meinem Newsletter. Hier kannst du ihn abonnieren.)

Emojis in der professionellen Kommunikation?

Neulich im Workshop. Kunde: „Wir diskutieren ja immer, ob wir Emojis in unseren Posts auf Linkedin verwenden sollten. Was sagst du denn dazu?“ Argumente dagegen sind schnell gefunden. Das passt nicht zu unserer Marke. Emojis sind doof. Und überhaupt nerven sie doch schon in persönlichen Whatsapp-Gruppen.

Aber so einfach ist es aus meiner Sicht nicht. Denn: Wer nur von sich ausgeht und nicht schaut, wie die jeweilige Zielgruppe tickt, sorgt schon einmal dafür, sehr viele Chancen nicht zu nutzen. Und wer nicht darauf achtet, welche Sprache in dem jeweiligen Netzwerk gesprochen wird – tja, der wird eben auch nicht glücklich werden. Zumal: Emoji ist ja nicht gleich Emoji. Denn es müssen ja nicht gleich die Äffchen, Katzen und lachenden Smilies sein – es gibt ja auch diejenigen, die beispielsweise ein Thema optisch verdeutlichen können, ohne albern zu wirken.

Richtig eingesetzt sehe ich folgende Vorteile im Einsatz von Emojis: Sie können durch das Setzen von optischen Ankern die Aufmerksamkeit für einen Post erhöhen, so dass auch das Engagement mit dem Post steigt. Dazu gibt es auch einige Studien, die das belegen. Sie können helfen, dem Post eine Struktur zu geben, zum Beispiel bei Aufzählungen. Sie können eine Marke vermenschlichen und wir alle wissen, dass wir uns gerade auf Social Media eher mit Personen verbinden. Und sie können Emotionen übertragen, die du mit Worten oft gar nicht so gut erzeugen kannst.

Und in diesem Zusammenhang spannend: Wirf doch mal einen Blick auf das Social-Media-Radar vom Tagesspiegel zur Bundestagswahl – dort wird unter anderem auch analysiert, welche Emojis die jeweiligen Spitzenkandidaten am häufigsten verwenden – und welche in der Berichterstattung über die Kandidaten verwendet werden.

Man sieht ganz gut, welche politische Agenda die Spitzenkandidat*innen verfolgen – der eine staatsmännisch, die anderen erfolgsorientiert. Bin gespannt, wie sich das in den kommenden Wochen noch verändern wird.

Spannend in diesem Zusammenhang ebenfalls: die Verwendung von Hashtags. Während Laschet mittlerweile eher inhaltlich auswählt, nutzen beispielsweise Baerbock und ihr Team eher allgemeine Hashtags, die wenig über die eigene Positionierung aussagen.

(Dieser Text ist leicht abgewandelt zuerst in meinem Newsletter erschienen. Hier kannst du ihn abonnieren.)

Die zu Beginn gute, aber dann doch seltsame Newsletter-Strategie der Grünen

Am 19. April war ich ein klitzekleines bisschen begeistert zu beobachten, wie geschickt das Kampagnenteam von Bündnis90/Die Grünen in den Wochen davor auf E-Mail-Adressenfang gegangen war. Das Ziel: Am 19. April um kurz vor 11 Uhr in vielen Postfächern der Republik zu landen mit der Botschaft, jetzt doch bitte schnell mal auf Youtube zu gehen, denn da werde die Kanzlerkandidatin verkündet. E-Mail-Lesende wussten mehr. Tolles Best Practice in Sachen Vorteilskommunikation – so kann man jede Menge Adressen einsammeln. 

Tja, seitdem bin ich auf einem Verteiler, über den mich Michael Kellner, der Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/ Die Grünen, seit Start der Kampagne drei weitere Male angeschrieben hat. Am 4. Juni mit der Betreffzeile „Bereit, weil Ihr es seid!“, um mich zu mobilisieren, ins Wahlkampfteam der Grünen zu kommen. Am 12. Juni mit der Betreffzeile „Mit Dir: für die Freiheit, die wir meinen“, um mich auf die Schmutzkampagne gegen Annalena Baerbock hinzuweisen und gleichzeitig um Spendengelder für die Kampagne zu bitten. Gestern kam die bisher letzte Mail mit der Betreffzeile „Das ist Rufmord!“, in der mich Kellner aufforderte, mit seinem Tweet zu interagieren oder in meinen Kanälen meine Solidarität mit Baerbock zu erklären. 

Vier E-Mails, zweimal eine Schmutzkampagne als Anlass. Dabei – nach dem guten Start ins Wahlkampf-E-Mailmarketing – hatte ich mir wirklich mehr erhofft. Also ganz banal: Inhalte zum Beispiel. Würde ich mich nicht eher dazu bereit erklären, in einem Wahlkampfteam mitzuwirken, wenn ich mehr über Werte, Haltung und Ziele erfahren würde? Wäre ich nicht bereiter, Geld zu spenden FÜR die gute Sache als gegen eine Kampagne gegen die Spitzenkandidatin? Isses wirklich damit getan, ein Zitat von Christian Schertz zu lesen und ein bisschen herumzutwittern? Eigentlich schade, dass die Grünen so wenig mit meiner E-Mailadresse anzufangen wissen. Und keine Sorge: Für die Ausgewogenheit abonniere ich gleich einmal die Newsletter der anderen Parteien.

(Der Text war Teil meines Newsletters. Hier kannst du ihn abonnieren.)

Corona und Newsrooms: Welche Auswirkungen die Pandemie auf die Arbeit in Redaktionen hatte

Auch für Newsrooms war das vergangene Jahr besonders: Denn die Pandemie wirbelte ja nicht nur Arbeitsabläufe durcheinander, sondern es gab über eine lange Zeit ein beherrschendes Thema. Zahlreiche neue Formate entstanden so: Newsletter, Podcasts – und die meisten hatten auch das Ziel, die eigene Zielgruppe möglichst perfekt zu informieren. Doch was hat das eigentlich gebracht? Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die eigene Glaubwürdigkeit ausgewirkt? Hat die Pandemie gar das Medienverhalten beeinflusst? Eine wichtige Frage, die sich nicht nur Kommunikator*innen fragen, sondern hoffentlich auch Journalistinnen und Journalisten. Denn immer wieder zu hinterfragen, ob die bestehenden Kanäle immer noch die richtigen sind, ob es nicht doch sinnvoll sein könnte, andere Wege auszuprobieren, um (neue) Zielgruppen anzusprechen – das gehört in der heutigen Zeit eigentlich zum Tagesgeschäft.

Das Reuters Institute hat dazu eine internationale Studie veröffentlicht. Hier die wichtigsten Erkenntnisse für Deutschland.

1. 39 Prozent der Deutschen haben sich sich mit Hilfe so genannter Newsorganisationen aka Medien über die Auswirkungen der Pandemie informiert. Im April 2020 lag der Anteil noch bei 47 Prozent (Nur in Südkorea gab es hier übrigens keinen Rückgang). Die zweitwichtigste Quelle waren für die Menschen in Deutschland Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen und so genannte Expert*innen. Zwei weitere Details: Je älter, desto eher informiert man sich über Newsorganisationen und gebildeter sind sie. 

2. Bei der Frage, welchen Quellen man denn am ehesten vertraue, schneiden klassische Medien nicht so gut ab: Am glaubwürdigsten sind für die Deutschen Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen und Expert*innen, gefolgt von nationalen und internationalen Institutionen und besagten journalistischen Quellen. Interessanterweise gilt diese Reihenfolge in allen untersuchten Ländern.

3. Politiker*innen haben ein Glaubwürdigkeitsproblem: Auf die Frage, bei welcher Institution man falsche Informationen in Bezug auf Covid19 gesehen habe, nennen 31 Prozent der Deutschen „Politiker*innen“ – und nur 21 Prozent Newsorganisationen. Es gibt übrigens nur ein Land, in dem das Misstrauen gegenüber journalistischen Informationen größer ist als gegenüber Politiker*innen: Japan.

4. Weil Impfungen einer der Schlüssel im Kampf gegen die Pandemie sind, hat das Reuters Institute auch untersucht, wie erfolgreich sich bestimmte Falschmeldungen (z.B. Impfen verändert die DNA oder Impfen verursacht Unfruchtbarkeit und der ganze Quatsch) über Impfungen durchgesetzt haben. Erkenntnis: Je höher der Anteil derer, die sich über klassische Medien informieren, desto geringer die Rate derer, die an Falschmeldungen übers Impfen glauben. Aber: Es besteht hier kein Zusammenhang zwischen Jungen oder geringer Bildung und dem Glaube an Fake News. In Deutschland tendieren eher Ältere dazu, solche Falschmeldungen als richtig einzustufen als jüngere.

5. Ungefähr die Hälfte der Deutschen sagen, dass Medien hilfreich waren, die Pandemie zu verstehen und richtig mit ihr umzugehen, auch wenn das im April 2020 noch mehr Menschen gesagt haben. Gleichzeitig ist der Anteil derer, die meinen, dass Journalist*innen, die Pandemie übertrieben dargestellt haben, gestiegen. Hier sieht man doch eine größer gewordene Unzufriedenheit.

Fazit: Grundsätzlich kann man sagen, dass Journalist*innen und Journalisten eine wichtige Rolle gespielt haben, die Bevölkerung über die Pandemie zu informieren. Gleichzeitig war das Vertrauen in Medien zu Beginn der Pandemie größer und sie haben mittlerweile ein Glaubwürdigkeitsproblem. Viele Menschen hören lieber auf Wissenschaftler*innen und Expert*innen. Nicht ohne Grund waren und sind gerade Podcasts wie das Corona Virus Update mit Sandra Ciesek und Christian Drosten so erfolgreich, tingelt Karl Lauterbach in seiner Rolle als Wissenschaftler von Talkshow zu Talkshow. Medien fungieren hier nur als Plattform.

Hier kannst du die komplette Studie lesen.

Der Text war Teil meines Newsletters, den du hier abonnieren kannst.

Plötzlich Shitstorm am Beispiel von Sat.1

Eine kritische Äußerung, eine auf den ersten Blick unscheinbare Frage, eine echte Beleidigung – und jedes Mal die große Frage: Wie soll ich, wie sollen wir darauf bloß reagieren? Kommunikation in Social Media erfordert häufig Schnelligkeit, eine präzise Wortwahl, aber oft auch einfach einen gesunden Menschenverstand. Wie man es eher nicht macht, konnte man diese Woche mal wieder erleben. Am Beispiel von Sat.1.

Matthias Distel aka Ikke Hüftgold ist Unternehmer und Schlagerstar (weiß ich auch erst seit letzter Woche). Distel sollte Protagonist in der Sat.1-Show „Plötzlich arm, plötzlich reich“ (Kannte ich vorher auch nicht!) werden. Stattdessen veröffentlichte er am Montag ein Video auf Instagram, in dem er erklärte, warum er aus den laufenden Dreharbeiten ausgestiegen ist (20 Minuten echt harte Kost, mir kamen zwischenzeitlich die Tränen). Gleichzeitig erhob er schwere Vorwürfe gegenüber dem Sender und der Produktionsfirma. Das Kindeswohl von schwer traumatisierten Kindern sei mit Füßen getreten worden. Das Video verbreitete sich in Windeseile, Online-Artikel in den Medien erschienen. Für Sat.1 also ein ordentlicher Shitstorm.

Wie hättest du reagiert?

Gar nicht reagieren und hoffen, dass sich die Gemüter von alleine beruhigen? Aussitzen? Öffentlich entschuldigen? Mal ganz grundsätzlich über diese Form von Bloßstellungsformate nachdenken und das öffentlich ankündigen? Oder zur Gegenattacke ausholen und behaupten, dass der Schlagerstar „die Familie ungefragt in die Öffentlichkeit gebracht“ habe?

Nach der Lektüre aller Statements würde ich behaupten, dass Sat.1 den Weg gewählt hat, der am wenigsten schnell aus dem Shitstorm herausführt. Der Debatte ein Ende setzt und nicht dafür sorgt, dass nun auch der Spiegel und andere Massenmedien über den Fall berichten, sich ja bereits erste Gruppen formieren, die Werbende aufrufen, den Sender zukünftig zu meiden.

(Dieser Text erschien zuerst in meinem wöchentlichen Newsletter, den du hier abonnieren kannst.)

Für Twitter bezahlen? Warum ich noch skeptisch bin

Vor ein paar Wochen hatte ich 14-Jähriges auf Twitter. Ich habe es mit einem Tweet gefeiert. Ein paar gratulierten. Vor ein paar Tagen verkündete der Pianist Igor Levit, eine Twitter-Pause zu machen. Es sei unerträglich geworden, schrieb er. Immer wieder hatte er sich in der Vergangenheit politisch positioniert und war dafür angefeindet worden. Konnte sich teilweise nicht ohne Polizeischutz in der Öffentlichkeit bewegen.

Twitter hat erkannt, dass es sich nach 15 Jahren neu erfinden muss. Zunächst gab es die Möglichkeit, die Sichtbar- und Kommentierbarkeit von Tweets einzuschränken. Vor einigen Wochen der Start von Twitter Spaces, die kommende Integration des Newsletterdiensts Revue, eine mögliche Ausweitung von Shopping-Funktionen und die Einführung der virtuellen Kaffeetasse.

Vieles davon Versuche, die Erlösströme auf neue Säulen zu setzen. Und so überraschte es nicht, als die Entwicklerin Jane Manchun Wong vor einigen Tagen entdeckte, dass womöglich bald ein Abomodell namens „Twitter Blue“ starten könnte. Wong hat in den vergangenen Jahren schon mehrfach neue Features sozialer Netzwerke entdeckt, bevor diese offiziell kommuniziert wurden.

2,99 Dollar könnte „Twitter Blue“ pro Monat kosten, monatlich kündbar mit ein paar für viele lang ersehnten Features: ein Undo-Timer, einer Art Bibliothek für favorisierte Tweets, um sie leichter auffindbar zu machen. Auch die Möglichkeit, Werbung aus der eigenen Timeline zu verbannen, scheint denkbar. Die Rede ist auch von gestaffelten Preisen pro Monat für weitere exklusive Features.

Die Frage, die mich allerdings in diesem Zusammenhang bewegt: Genügen diese Features, um ein solches Abo abzuschließen? Ich glaube nicht. Natürlich ist Twitter eine höchst attraktive Plattform für den politischen und gesellschaftlichen Diskurs, zur Meinungsbildung und zur Darstellung zahlreicher Multiplikatoren. Gleichzeitig ist Twitter attraktiv und verflucht zugleich wegen seiner Schnellig- und Schnelllebigkeit. Denn die Hürde, irgendwelchen Emotionen freien Lauf zu lassen, vor allem eben Wut, Hass und Hetze, ist aus diesem Grund nicht sonderlich hoch.

Und solange Twitter dies nicht in den Griff bekommt und sich Menschen wie Igor Levit frustriert abwenden, wird es schwierig werden, ein Abomodell zu etablieren.

Dieser Text erschien in einer ähnlichen Version in meinem persönlichen Newsletter, der wöchentlich in deinem Postfach landen kann. Hier kannst du ihn abonnieren.

Wieviel Radikalität verträgt unsere Sprache?

„Ich gucke seit Monaten kein Fernsehen mehr.“ Einer dieser Sätze, den ich in den vergangenen Tagen vermehrt gehört habe. Ausgangssperren, Corona-Leugner, Verbote, Rassismus, Klima – macht alles nicht wirklich Spaß. Viele meiden gar den täglichen Blick in die Nachrichten und auch ich muss zugeben, dass mir derzeit an einigen Tagen die Logo-Nachrichten völlig ausreichen. 15 Minuten investieren, in denen nur das Schlechte dieser Welt berichtet wird – muss nicht sein.

Ja, wir leben in in Zeiten kräftigster Zuspitzung. Alles ist schwarz ODER weiß, aber meistens mindestens dunkelgrau. Man könnte meinen, die Welt stünde kurz vor dem Untergang. Zwischentöne, Schattierungen, um in der Farbwelt zu bleiben – nö. Und auch unsere Sprache ist geprägt von Zuspitzung, Radikalität.

Ausgangsbeschränkungen werden zu Ausgangssperren. In einem Papier des „Expertenrats“ der Landesregierung Nordrhein-Westfalen werden Menschen, die sich an die Regeln halten zu „Lockdown-Fanatikern“ in Abgrenzung zu den „Corona-Leugnern“. Der vergleichsweise sanfte Shutdown wird zum Lockdown, zwischenzeitlich drohte gar ein Mega-Lockdown. Wie würden wir eigentlich das nennen, was beispielsweise in Chile praktiziert wurde? Dort durfte man monatelang nicht ohne Grund und Passierschein (online zu beantragen, personalisiert und limitiert) – das Haus verlassen. Und das Militär kontrollierte, ob man seinen Passierschein auch dabei hatte. Einen Passierschein, der einem erlaubte, einmal am Tag sieben Mal die Woche, manchmal aber auch nur zweimal pro Woche, vor die Tür zu gehen. Und das muss reichen für Gassigehen, Einkaufen, Arztbesuche. Wäre das ein Mega-Superduper-Lockdown? Und erinnerst du dich noch an Armin Laschets „härtestes Weihnachtsfest, das die Nachkriegsgenerationen je erlebt haben“?

Ohne Radikalität geht es offenbar nicht. Laufen wir hier nicht Gefahr, dass uns für die Phänomene unserer Zeit die Worte ausgehen? Und warum machen wir das eigentlich?

Ich sehe vor allem drei Trends.

Erstens: Wir leben in einer Zeit, in der sich die Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr einfach so mit Abwarten oder moderater – nicht radikaler – Politik lösen lassen. Und das spüren wir gerade jetzt sehr. In der Digitalisierung ging Deutschland einen, sagen wir mal, moderaten Weg – und wurde jetzt auf radikale Weise eingeholt – siehe die Schulen. Oder der Pflegenotstand, das Artensterben, die fast schon unvermeidliche Klimakatastrophe.

Zweitens: Wir leben in Zeiten von einer Emotionalisierung von Nachrichten. Und das wird natürlich stark getrieben durch soziale Netzwerke. Der Kampf um Aufmerksamkeit wird über klare, emotionale Botschaften gewonnen und wer von sozialen Netzwerken profitieren will, muss zuspitzen und emotionalisieren.

Drittens:
Die Aufmerksamkeitsökonomie hat zudem den Nebeneffekt, dass noch mehr Medien, Unternehmen, Einzelpersonen um die Aufmerksamkeit der Menschen buhlen – und das führt dazu, dass Themen zugespitzt werden. Je einfacher die Botschaften, desto besser. Je emotionaler, überraschender die Geschichte – umso besser. Bei der Beurteilung von Nachrichten dominiert der Unterhaltungs- und Gesprächswert die anderen. Journalismus zur Bestätigung der eigenen Gefühle.

Aber ich will hier auch drei Vorschläge machen.

Erstens: Mehr Medienkompetenz für Medien.
Wie lange hat es gedauert, bis verstanden wurde, dass es vielleicht nicht allzu klug ist, jeden einzelnen Tweet von Donald Trump in eine Nachricht zu gießen, sich darüber lustig zu machen und so diesen Aussagen noch ein viel größeres Gewicht zu geben – vier ganze Jahre! Medien haben eine Verantwortung. Sie müssen noch besser verstehen, wie digitale Medien funktionieren und missbraucht werden können.

Zweitens: Emotionalisierung, wenn es wirklich sinnvoll ist.
Gegenüber Spektrum sagte Umweltjournalist Dirk Steffens: „Man braucht Emotionen, um Handlungsimpulse zu erzeugen. Im Journalismus dürfen wir emotionalisieren – vorsichtig und verantwortungsvoll. Aber vielleicht sind wir zu vorsichtig.“ Die Klimakrise wäre ein Thema, dem MEHR Emotionalität gut tun würde.
Fünf Milliarden Jahre Erdgeschichte bedeuten fünf Milliarden Jahre Klimawandel, so könnte man meinen. Mit diesem Begriff verstellen wir den Blick auf die Ursache, Dringlichkeit, er ist so schön abstrakt und schön weit weg von unserer Verantwortung.

Drittens: Wenn schon schlechte Nachrichten, dann in Verbindung mit Konstruktivem!
2019 haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Studie veröffentlicht, für die sie u.a. getestet haben: „Für welche Form von Journalismus entscheiden sich Menschen, wenn sie unter Zeitdruck stehen?“ Traurige Antwort: Negatives wird eher wahrgenommen und verkauft sich deshalb auch besser. Könnte man dann nicht aber versuchen, Negatives mit Positivem in Verbindung zu bringen! Mit Lösungen und Perspektiven.

(Dieser Text ist eine Version eines Vortrags, den ich beim Creative Morning gehalten habe.)

Warum Journalismus so anfällig für Desinformationsstrategien ist

In einer der letzten Ausgaben des Corona-Virus-Updates sprach Charité-Professor Christian Drosten mal nicht nur über die neuesten Erkenntnisse zum Thema Impfen und Co., sondern ging auch auf die Rolle von Medien und Journalist*innen ein, die in der derzeitigen Situation nicht immer nur eine rühmliche ist. Seiner Meinung nach trügen Medien einen großen Teil dazu bei, dass in Deutschland „Grundprinzipien der Wissenschaftsleugnung“ zu erkennen seien. (Denkt in den Redaktionen eigentlich noch jemand nach, wenn dort „Stramme Notbremse verhindert“ in die Dachzeile geschrieben wird?). Ich fand es einigermaßen erstaunlich, dass ein Virologe im Podcast die PLURV-Strategien zur Desinformation erläutert.

Nun ist das vor allem Drostens Eindruck, doch dieser hat natürlich eine Berechtigung, wenn man sich die unterschiedlichen Strategien einmal genauer anschaut und einordnet, wie anfällig Journalist*innen für diese Form von Einflussnahme sind. (Was (Krisen-)Kommunikatoren natürlich auch in allen möglichen Kontexten nutzen). Aber der Reihe nach und Buchstabe für Buchstabe in PLURV erklärt:

P steht für Pseudoexperten: Eine unqualifizierte Person wird als Experte hinzugezogen.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Um den Vorwurf der einseitigen Berichterstattung vorzubeugen, sollen möglichst alle Seiten eines Problems dargestellt werden und viele Perspektiven gezeigt werden. Problematisch wenn Minderheits- bzw. nicht wissenschaftlich gestützte Meinungen hier auf gleicher Höhe präsentiert werden. Das ist umso verlockender, weil steile Thesen häufig überraschender sind und im Online- und Social-Media-Zeitalter so leichter Aufmerksamkeit bringen.

L steht für Logikfehler: Argumente sind bei näherer Betrachtung unlogisch.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Einfache Worte, verständliche Argumente, Zuspitzung das wollen die Leser*innen, Zuhörer- und Zuschauer*innen – das kann zu Lasten der Korrektheit gehen. Personalisierung ist ein gern verwendetes Mittel, um komplexe Sachverhalte darzustellen (Gefahr der Ad-Hominem-Argumentation), Analogien können irreführend sein, mehrdeutige Begriffe können anders interpretiert werden.

U steht für unerfüllbare Erwartungen: zum Beispiel an die Wissenschaft.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Ein aktuelles und vor allem relevantes Thema bringt Aufmerksamkeit, Klicks, Traffic, Abos, also braucht es immer wieder neue Drehs, Wendungen, Argumente. Wissenschaftler*innen können im Fall der Corona-Pandemie nur gebetsmühlenartig wiederholen, was die geeignete Maßnahmen sind. Doch der immer gleiche Hinweis auf AHA-Regeln und Co. bringt ebendiese Aufmerksamkeit nicht.

R steht für Rosinenpickerei: Informationen werden bewusst lückenhaft ausgewählt, so dass sie die eigene Position zu stützen scheinen.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Auch hier kommen wirtschaftliche Interessen zum Tragen – verkürzt: je besser die Geschichte, desto mehr Aufmerksamkeit, desto mehr Umsatz.

V steht für Verschwörungsmythen: Geheimbünde, Komplotte, abstruse Zusammenhänge werden konstruiert.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Im Kampf um Aufmerksamkeit werden immer wieder neue Drehs, neue Aspekte gesucht – Hauptsache die Story stimmt. Zudem: In vielen Redaktionen gilt das Credo bei Geschichten um eine Person: Auch keine Reaktion ist eine Reaktion. Menschen, die hier nicht so erfahren im Umgang mit Medien sind, können hier ganz schnell in Ecken gestellt werden, in die sie ganz und gar nicht reingehören.

Warum ich das aufschreibe? Weil ich hoffe, dass sich Journalist*innen gerade jetzt ihrer Verantwortung bewusst sind, auch wenn sie monetäre Interessen verfolgen.

Grafik kennst du, oder?

Dieser Text war Teil meines wöchentlichen Newsletters. Hier kannst du ihn abonnieren.