Wie wir (wieder) ins Gespräch kommen – vier Tipps von Organisationsberaterin Jana Stecher

Chemnitz, Köthen – es brodelt in Deutschland. Renate Künast sagt in der FAZ: „Die alte Bundesrepublik ist vorbei“ und noch ganz viele andere erstaunliche Dinge für jemanden, der zum aktiven politischen Betrieb gehört. Und wenn ich mit Menschen darüber spreche, herrscht oftmals eine große Fassungslosigkeit. Reden wir zu wenig miteinander? Also nicht nur mit Gleichgesinnten, sondern eben mit allen Bevölkerungsschichten? Hätten wir dann nicht schon früher bemerken können, was sich da zusammenbraut? Ich meine ja.

Eine, die das ganz hervorragend macht, ist Jana Stecher. Sie ist aus meiner Sicht eine hervorragende Organisationsberaterin (glaube ich ihren Instagram-Stories, folgt ihr, dort gibt sie oft Einblicke in ihre Arbeit) und unterstützt Unternehmen bei digitalen Herausforderungen und den dabei auftretenden Veränderungen in der Organisation. Vor ein paar Tagen startete Jana ein Experiment: Sie wollte verstehen, warum Deutschland gerade so auseinanderdriftet. Was die Menschen bewegt und antreibt so voller Hass zu sein. Jana hat mir daraufhin ein paar Fragen beantwortet.

Was für einer Gruppe bist du bei Facebook beigetreten und was hast du geschrieben?
In meinem Heimatort (eine Kleinstadt im Süden von Berlin) gibt es zahlreiche kommunalpolitische Gruppen. Ich bin in allen, die ich finden konnte, Mitglied. Ich wehre mich schon seit 2015 gegen das Entstehen einer eigenen Filterblase, die mir die Diversität der Gesellschaft vorenthält. Diese eine Gruppe möchte eigentlich meinungsoffen und objektiv sein, ist jedoch voll mit Posts und Stimmungsmache der AfD. Ich wollte dort nicht einfach austreten, wie es andere getan haben, sondern aktiv den Diskurs suchen. Daher schrieb ich bezugnehmend auf die Horror-Meldungen angeheizt durch Chemnitz, dass ich den Tag allein in Berlin war, mir trotz hohem Anteil von Migranten, nix passiert sei.

Wie waren die Reaktionen?
Innerhalb einer halben Stunde hatte mein Beitrag 80 Kommentare (bei einer Gruppe von nur 300 Mitgliedern). Nach einem Tag waren es 240 und dann nach zwei Tagen 360 Kommentare. Anfangs wurde ich ausgelacht, es wurde sich über mich lustig gemacht.

Hast du auf alle Kommentare geantwortet?
Nein. Vor allem Kommentare, die versuchten mich persönlich zu beleidigen, habe ich ignoriert. Generell wurde sehr oft in der dritten Person über mich gesprochen. Waren jedoch konkrete Fragen an mich, habe ich diese beantwortet.

Du bist Organisationsberaterin und hast in dem Gespräch bei Facebook Methoden aus deinem Berufsalltag angewendet. Welche sind das?
Systematisches Beraten basiert vor allem auf dem kompletten Freimachen von Vorurteilen. Jedem Menschen begegnet man wie einem leeren Buch. Ich habe mich als erstes frei gemacht von meinen eigenen Vorurteilen gegenüber diesen anders Denkenden. Ich habe relativ schnell versucht, die Aufmerksamkeit zu einer konstruktiven, ernst gemeinten Frage zu lenken. Zudem habe ich einen Teil der Kommentatoren direkt angesprochen. Von der auf mich bezogene persönliche Ebene habe ich mein „Publikum“ aktiviert. Ich bin dadurch in den Modus des Moderieren gewechselt. Drei Frauen haben hierauf ihre konkreten Ängste geschildert. Drei Frauen gaben an, keine größere Angst zu haben. Nun hatte ich auch die Aufmerksamkeit von den nicht eindeutigen AfD-Sympathisanten.
Aus meiner Tätigkeit als Beraterin (ich moderiere auch oft bei Team-Konflikten) weiß ich, dass Wertschätzung und Anerkennung von Emotionen die Basis für einen Wechsel in den konstruktiven Modus ist. Daher bin ich auf jede Meldung intensiv eingegangen. Habe die Emotion nicht in Frage gestellt, sondern für die Erfahrungsberichte und ehrlichen Statements gedankt. Hier habe ich auch immer wieder betont, dass es mir nicht zusteht, über die subjektiven Gefühle anderer zu urteilen. Damit habe ich irritiert. Das wurde von den Gruppenmitgliedern nicht erwartet. Irritieren ist ein mächtiges Tool beim Aufbrechen von Kommunikationsmustern. Jedoch muss ich hier noch klar machen, dass es mir nicht ums Überzeugen ging. Meine Empathie ist immer ehrlich gemeint.
Eine weitere Methode, die ich dann angewendet habe, ist die Wunderfrage. Das ist eine Methode aus dem systematischen Coaching. Wenn ich im Coaching bin und mit sehr verzweifelten Führungskräften zu tun habe, die vor Komplexität, keine Struktur erkennen können und komplett im Defizit hängen, erzeuge ich eine perfekte Zukunft. „Stell dir vor, du wachst morgen auf und alle Probleme, alle Sorgen sind gelöst. Wie fühlt sich das an? Was ist dann anders?“ Diese Methode habe ich abgewandelt und nach Klärung und Öffnung der Beziehungsebene benutzt und gefragt, was sich ändern müsste, damit sich alle in der Stadt wieder sicherer fühlen.

Was ist dann passiert?
Jetzt würde ich gern schreiben, alles super: 30 Maßnahmen gesammelt und direkt in der Stadtverordnetenversammlung vorgestellt. Leider nein. Die Problem-Ebene wollte kaum einer verlassen: Der Mensch liebt seine Probleme eben mehr als Lösungen. Ich sage dazu immer: Defizit schlägt Potenzial.

Was hast du in dem Gespräch gelernt?
Einerseits stand mein Post mit der dazugehörigen Diskussion durch die Aktivität der Gruppe mehr als drei Tage ganz oben. Fake-News der AfD kamen nicht mehr durch und verschwanden sofort wieder im Stream. Jeder Kommentar, jede Reaktion brachte meinen Post immer wieder nach oben. Diesen Mechanismus sollten wir stärker nutzen. Weiterhin habe ich gelernt, dass die Angst der Leute für sie real ist. Die Frustration über Politik der Vergangenheit ist so tief verwurzelt, dass es gar kein Glaube an eine positive Wendung gibt. Mit echter Moderation, die sich frei macht von persönlicher Überzeugungsagenda oder Likes, die es nur zum Ziel hat, wieder Verbindung zwischen den Menschen zu schaffen, können wir uns wieder annähern. Ich habe für mich erkannt, dass diese Kompetenz heute mehr denn je gefragt ist. Und zwar nicht nur mit bezahltem Auftrag. Ich wünschte mir, dass viel mehr meiner Berater- und Coach-Kollegen aktiv würden in sozialen Netzen und anfangen, ihre Kompetenzen einzusetzen und auch weiterzugeben.

Willst du die Aktion wiederholen?
In immer wieder anderem Rahmen bestimmt. Jedoch habe ich mir jetzt für eine Woche eine Pause verordnet. Es kostet Zeit und Energie, die ich nicht immer aufbringen kann. Mit nachlassendem persönlichen Akku fiel mir das Suspendieren und Wertschätzen immer schwerer, ich wurde dann zynisch oder sarkastisch, was wiederum nicht mehr auf das Ziel der verbindenden Kommunikation einzahlt.

Wenn es darum geht, Shitstorms zu vermeiden, sagen viele „Don’t feed the trolls“. Du sagt, dass dieser Satz ein Fehler ist. Aus welchen Gründen?
Wenn es um einen organisierten Shitstorm geht, ist es sicherlich noch immer richtig, die bloße Empörung nicht durch Argumente oder sonstigem weiter anzufüttern. Jedoch wird dieser Grundsatz in meinen Augen viel zu schnell hervor geholt. Wir nehmen uns viel zu selten die Zeit zu verstehen, nachzufragen, was hinter Aussagen, Hass und Vorurteilen steht. Da steckt auch ein Stück weit Bequemlichkeit dahinter: „Die haben eine andere Meinung, die mir fremd ist, also rede ich lieber nicht mit denen.“ Doch so haben wir die Filterblasen stärker werden lassen. Wutbürger sehen sich in ihren Kreisen immer wieder bestätigt, weil eben keiner mehr andere Perspektiven einbringt.

Ich glaube noch immer an das Potenzial von Digitalisierung, weil es die maximale Verbindung von Menschen erlaubt. Ich will nicht akzeptieren, dass das zu etwas Schlechtem führt.
Joi Ito der Leiter des MIT Media Labs sagt in der aktuellen „ZEIT“ über den Einfluss von Social Media: „Gibt man jedem eine Stimme, sind die Arschlöcher die Lautesten.“ – Und um dem zu entgegnen, sollte der Klügere nicht länger nachgeben, sondern hinhören, Fragen stellen, zusammenfassen, sich als Mensch zeigen. Das können wir alle.

Danke Jana.

3 Antworten zu “Wie wir (wieder) ins Gespräch kommen – vier Tipps von Organisationsberaterin Jana Stecher”

  1. […] Nachtrag: Das Interview ist online! […]

  2. Die Hoffnung, den Umgang mit den Kommunikationsmitteln der Gegenwart und Zukunft beherrschen zu lernen, teile ich (noch). Es wäre gut, wenn sich mehr Profis in diesem Sinne „einmischen“ würden.

    Ich bin politisch sehr interessiert und mische mich in diversen Facebook-Gruppen ein. Die Filterblasen funktionieren inzwischen so gut, dass die „Störenfriede“ dort nur noch selten in Erscheinung treten.

    Ob bei Twitter oder Facebook, ich schaffe es i.d.R. nicht, eine Ebene zu finden, die ein ordentliches Gespräch ermöglicht. Die von Ihnen beschriebenen Möglichkeiten der Abhilfe leuchten ein. Sie waren mir auch nicht ganz neu. Aber die Umsetzung ist so schwer. Umso schwerer natürlich dann, wenn man sich sozusagen gleich in die Höhle des Löwen begibt. Stichwort: Allein unter Trollen.

    Allein die Scharmützel über das Verhalten von Maaßen und die Reaktionen darauf (auf den Kommentarseiten großer Medien) machen deutlich, wie sehr wir uns inzwischen entzweit haben. Ich kann kaum glauben, dass wir dazu imstande sind, das trotz gutem Training in den Griff zu bekommen.

    Bei Facebook habe ich kürzlich mein Profil von öffentlich auf persönlich umgestellt. Vorher habe ich nur wenige Leute aufgrund „krasser Meinungsunterschiede“ gesperrt. Bei Twitter war ich diesbezüglich viel rigoroser. Ich bin mir bewusst, dass diese „Technik“ keine Lösung ist.

    Nur – es lebt sich leichter in der Filterblase.

    Dieser Erkenntnis folgen nach meinem Eindruck immer mehr Menschen. Ich stelle fest, dass Menschen sich im Internet anders verhalten als im echten Leben. Im Umgang mit den neuen Medien könnte man vielleicht das Kommunikationsverhalten integrieren in ein anderes Fach, dem auch immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Medienkompetenz hält mit der technischen Entwicklung bisher überhaupt nicht Stand. Wahrscheinlich hängen beide Themen eng miteinander zusammen.

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