Der Magier im Kreml oder das Spiel, das wir alle mitspielen

Ich habe „Der Magier im Kreml“ gelesen. Kein Sachbuch, keine Biografie. Sondern ein Roman von Giuliano da Empoli, der besser erklärt, wie digitale Kommunikation, Macht und Manipulation heute zusammenspielen. Er zeigt eindrücklich, wie Kommunikation zur Waffe wird – und wir alle Teil der Spielregeln sind, die Putin und seine Strategen seit Jahren vorgeben. Und wir spielen mit. Ob wir wollen oder nicht. 

Der Roman basiert auf realen Personen und wahren Begebenheiten. Im Zentrum: Wadim Baranow, ein fiktiver Putin-Berater, der als ehemaliger Regisseur und Reality-TV-Produzent Einblick in den Maschinenraum des Systems Putin gibt. 


Was Giuliano da Empoli beschreibt, ist kein klassisches Propaganda-Modell. Es geht nicht darum, Menschen zu überzeugen, sondern darum, Deutungsräume zu besetzen. Möglichst viele. Und gleichzeitig. „Wir müssen niemanden bekehren (…), nur herausfinden, woran sie glauben, und sie darin bestärken.“ Es geht also um kontrollierte Spaltung, algorithmisch verstärkt. Und wir sehen sie täglich auf allen Plattformen. 

Drei Mechanismen, die das System stützen – auch bei uns.

1. Sichtbarkeit dominiert. 
„Inmitten all der Veränderungen sind wir nicht darauf trainiert, die Dinge zu erkennen, die gleich bleiben.“
Wir reagieren auf Trends, Aufreger, Breaking News. Aber die zugrundeliegenden Narrative bleiben oft unsichtbar. Aufmerksamkeit frisst Kontext.
 

2. Angst ist ein stabiler Trigger. 

„Die Politik reagiert auf die Ängste der Menschen.“ 
Putins Kommunikation setzt auf Drohung, nicht auf Argument. Angst erzeugt Handlung, und wer verspricht, diese Angst kontrollieren zu können, sichert sich Macht.
„Die einzige Waffe, die ein Armer hat, um seine Würde zu bewahren, ist es, anderen Angst einzuflößen.“
Das ist keine Randnotiz. Es ist das Prinzip, nach dem ganze Diskurse gebaut werden – online wie offline. Die Plattformlogiken verstärken das zusätzlich: Angst klickt, Angst verbreitet sich, Angst mobilisiert. Und sie gibt Macht, selbst da, wo keine ist.
 

3. Enthüllung als Verstärker 

„Alles, womit man Stärke vorgaukelt, lässt sie tatsächlich wachsen.“ 

Das System kalkuliert ein, entlarvt zu werden. Oder: Was wir eine Entlarvung wirkt, ist oft einkalkuliert. Denn – so die Logik, diese Entlarvung verstärkt die eigene Machtposition sogar noch. Weil sie die Erzählung von Einfluss, Stärke und Undurchschaubarkeit bestätigt. Auch das lässt sich auf Marken- oder Krisenkommunikation übertragen: Wer Empörung klug steuert, beherrscht das Narrativ.

Und diese Logik funktioniert nicht nur auf geopolitischer Ebene, sondern auch in der Marken- und Krisenkommunikation: Wer geschickt mit Skandalen umgeht, kontrolliert oft weiter das Narrativ. Sichtbarkeit wird zur Strategie.

Technologie war nie neutral

Da Empoli erinnert: Fast alle Technologien, die unser Leben prägen – Computer, Internet, GPS – entstanden im militärischen Kontext. Kontrollwerkzeuge, keine Emanzipationshilfen.
Und heute? „Die Datenexplosion hat aus der Menschheit ein einziges Nervensystem gemacht.“ Facebook habe geschafft, was der KGB nie konnte: permanente Selbstüberwachung. Und das auf freiwilliger Basis. Und das gilt ja nicht nur für Facebook. 

Was bleibt?

Der Magier im Kreml ist kein Roman über Russland. Es ist ein Roman über Macht. Über Narrative. Und darüber, wie leicht wir alle Teil eines Spiels werden, dessen Regeln wir nicht gemacht haben. Gerade in der digitalen Kommunikation.

Für alle, die Kommunikation gestalten – ob für Organisationen, Marken oder Medien – ist dieses Buch Pflichtlektüre. Weil es uns zwingt, nicht nur auf das Bewegte zu schauen, sondern auf das, was sich nicht verändert. Und weil es deutlich macht: Deutungsmacht ist keine Theorie. Sie ist Strategie. 

Und damit ende ich mit dem Zitat, dass der Autor dem Buch vorangestellt hat: „Das Leben ist eine Komödie. Man muss sie ernsthaft spielen.“

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