Und immer wieder „Fritzl-Case“

Der österreichische Autor Thomas Glavinic im Guardian„:

The countryside hates everything that is at a distance: the government, the EU, the Americans, the Jews. There are old-boy networks and there is peer pressure. Those who don’t work for their local voluntary fire brigade or at least donate money to their village fete are branded oddballs or outsiders. The rest, on the other hand, could beat up their wives and kids in their spare time. We wouldn’t care. „It’s just none of our business.“

Josef Haslinger in der „Sunday Times„:

“There is this pretty, shiny surface that Austrians like to show, but it hides a monstrosity,” he said. “On the surface we have moral standards and enlightened policies, but in the background we have this perverse world that nobody wants to talk about. We are still not able to accept our mistakes. So forgetting has become part of the mentality. If you look too closely you might have to act. So nobody looks.”

Die Österreicher sind ja noch schlimmer als die Deutschen mit ihrer Distanz zum eigenen Land. Da wird auch die EM nicht helfen.

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Und auch eine Woche danach noch Schaudern, wenn ich diese Zeilen lese:

At the age of only 42, her crudely cut hair is completely white, her lips are shrunken around toothless gums, her face is deeply lined, her body painfully thin, her skin almost transparent. According to a forensic psychiatrist, Dr Guntram Knecht, she has been ‚destroyed by all means‘. Of all those Fritzl damaged, she was the only one to know she was a victim. If she can live with her children again, ‚it will be because of her desire to be a mother,‘ he said.

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Und dann immer wieder der warnende Gusenbauer. Im Flugzeug las ich dann noch in der FAS „Was wird das Ausland dazu sagen?„. Vielleicht muss man die Frage, warum schon wieder Österreich doch mit einer viel größeren Penetranz diskutieren. Dieses Abwiegeln, dieses Kleinreden ist ja wirkt ja schon sehr nach bockigem Kleinkind.

7 Antworten zu “Und immer wieder „Fritzl-Case“”

  1. mark793 sagt:

    Wenn die Einsicht nicht von innen kommt, dass etwas faul ist im Staate Österreich, dann kann das Ausland wohl lange rummoralisieren, fürchte ich. Hat der ganze politische Druck Kurt Waldheim damals zum Abdanken bewegt oder das Erstarken der Haider-Partei verhindert? Wohl nicht, eher konnte man den Eindruck haben, die Alpenrepublik zöge sich bei Druck von außen noch mehr in ihre Wagenburg-Mentalität zu zurück.

    Im Ãœbrigen frage ich mich, ob es nicht auch ein wenig wohlfeil ist, im Zuge der Ursachenforschung jetzt alles, was einem an den Ösis schon immer stinken mochte, als kollektivstrafverschärfendes Moment heranzuziehen, nur weil man verzweifelt Erklärungen sucht für ein Verbrechen, das sich letztlich weder erklären noch verstehen lässt.

  2. gingerbox sagt:

    ich lese ihre beiträge zu dem thema mit einem gewissen unbehagen. dass in österreich seit jahrzehnten mit den reaktionärsten absichten ein „nationaler schulterschluss“ gefordert wird, ist man ja gewohnt. dass man missstände und verbrechen aber ebenfalls nur mit nationalen sterotypen erklären zu können meint, ist bitter.
    kluge menschen wie jelinek und haslinger haben ja auch nicht, wie ihnen von rechter und konservativer seite unterstellt wurde, „alles nazis“ geschrien, sondern sie haben sehr genau darauf hingewiesen, dass der nazismus und der alltäglich faschismus die selben wurzeln haben. dass diese tradition, anders als in deutschland, nicht unterbrochen wurde bzw. dass die gesellschaft sich niemals als ganzes und offiziell davon distanziert hat, unterscheidet österreich sicher von deutschland. ich sehe aber nicht, dass etwa die verherrlichung von macht und dominanz, die unterdrückung schwächerer, frauenhass und das behandeln von kindern wie dinge in irgendeinem land überwunden wären. es mag entlastend sein zu denken, die tat in amstetten sei ein ergebnis eines nationalcharakters oder, herr mark, unerklärlich. aber es ist nicht so.

  3. mark793 sagt:

    Gut, natürlich kann man rund um so eine Tat viel erklären. Das in Abrede zu stellen, war nicht meine Absicht. Ich meinte aber, selbst wenn man das alles ausgeschöpft hat an feministischer Theorie, herkömmlicher Psychologie, soziologisch-politische Zuschreibungen, und was auch immer: Es wird immer ein rätselhafter Rest bleiben. Tout comprendre – c’est tout pardonner. Alles verstehen, heißt alles vergeben, sagt man im französischen. Und von dieser Dimension von umfassendem Verständnis sind wir in diesem Fall doch noch ein gutes Stück entfernt.

    Zu den nationalen Stereotypen wollte ich übrigens noch die Frage aufwerfen, ob inzwischen schon mal jemand auf die Idee gekommen ist, es als typisch deutsche Marotte zu deklarieren, Neugeborene reihenweise zu Tiefkühlware weiterzuverarbeiten. Ich weiß nicht, ob das in anderen Ländern auch so en vogue ist wie hierzulande. Vielleicht ist das aber auch keine Sache des Nationalcharakters, sondern einfach der besseren elektrischen Haushaltsaustattung geschuldet. Ich warte da auch noch auf erhellende Erklärungen.

  4. franziska sagt:

    @mark793: Hab ich gestern auch gedacht: Die Deutschen haben Babyleichen in Blumentöpfen/Kühltruhen, die Österreicher verstecken Kindern in Kellern. Seltsam.

  5. Sanddorn sagt:

    Was sagt ein Maulwurf der sich durch Belgien gräbt? „Kinder, Kinder, Kinder!“

    Zum Thema, ich halte nicht viel von dieser Küchen-Psychologie. Da könnte man auch behaupten Deutsche können kein Squash spielen, weil sie seit dem „Untergang“ Probleme mit engen geschlossenen Räumen haben.

  6. dot tilde dot sagt:

    tout comprendre – das sagt sich ganz gut, im sessel. ich denke, bei fällen wie denen von hrn. f. bleibt genug übrig, was nicht verstehbar bleibt.

    was aber vielleicht nicht für den sessel gilt.

    ich sehe das komplett anders. man kann auch etwas ablehnen, was man rational sehr gut erfasst hat.

    .~.

  7. dot tilde dot sagt:

    zu schnell gelesen: ich hätte das nicht als widerspruch formulieren sollen.

    .~.