Flüchtlinge

25. Mai 1989. Ich weiß nicht mehr, wie wir es geschafft haben, ich weiß nur, dass wir es geschafft haben. Mit sechs Koffern bestiegen mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und ich den Zug in den Westen.Zwei Jahre nach dem Ausreiseantrag durften wir das Land verlassen. Dafür hatten wir 48 Stunden. Eine geordnete Flucht meiner Eltern, die anders verlaufen wäre, hätte es uns Kinder nicht gegeben.
Umsteigen kurz hinter der Grenze, eine Anwohnerin schenkte uns Kindern eine – Achtung: Klischee – Banane. Irgendwann Ankunft im Gießener Auffanglager. Wir blieben eine Woche, wohnten in einer Turnhalle. Danach ging es für uns in ein 4000-Einwohner-Ort im Norden Deutschlands. Das erste halbe Jahr lebten wir in einer kleinen Zweizimmerwohnung am Ortsrand. Eingerichtet aus Spenden. Wir waren dankbar, denn es war ein Neustart. Logisch. Mein Vater fand nach drei Monaten als erster wieder einen Job, fing klein an, Hauptsache arbeiten, dazugehören, ankommen, irgendwann. Ein halbes Jahr später hatte auch meine Mutter wieder Arbeit. Wir zogen um in eine Wohnung, in der meine Mutter erst mehr als 15 Jahre später auszog, nachdem wir Kinder längst flügge geworden waren. 
Eine Sache, die mich diese Zeit gelehrt und wohl auch geprägt hat: Du bist natürlich erst einmal allein, nur auf dich gestellt und nur durch eigenes Engagement kannst du es schaffen. 
Die andere: Hätte es zu Beginn nicht die Unterstützung gegeben, wäre der Start deutlich schwieriger geworden. 

Ich bin so dankbar, dass wir 1989 unter humanitären Bedingungen in die Ungewissheit fuhren. Dass sich meine Eltern nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aufgemacht haben, wie so viele andere, die dafür mit ihrem Leben bezahlen mussten. 

Dankbar, dass ich damals nicht erleben musste, was meine Großmutter durchmachte, als sie sich mit ihrer Familie nach dem Krieg aus dem damaligen Sudetenland ins heutige Sachsen-Anhalt aufgemacht hat. Welche Strapazen sie dabei erlebt haben muss. Wie schwierig eine Flucht gewesen sein muss, wenn alles zerstört ist, ein Überlebenskampf, der heute kaum noch vorstellbar ist. 
Lasst es uns den Flüchtlinge von heute nicht schwerer machen, als sie es ohnehin schon haben. Sie haben ihre Existenz zurückgelassen, auf dem Weg hierher nicht nur Freunde verloren, sondern auch Kinder, und ohne zu wissen, ob sie es jemals schaffen würden. Lasst uns helfen, dass sie hier ein neues sicheres Leben führen können. 

Bei Betterplace kann man spenden. In eurer Stadt bestimmt auch. Helfen geht natürlich auch. 

(Insbesondere die Aktion der Stadt, das Helfen zu organisieren, finde ich sehr sehr großartig.)

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