Testament der Angst

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Eigentlich ist Angst ja eine ziemlich gute Sache. Sie schärft unsere Sinne, aktiviert unsere Kräfte und leitet ein der Gefahrensituation angemessenes Verhalten ein. Jeder von uns hat Ängste, kleine wie große. Allerdings funktioniert das mit dem Aktivieren nur, wenn nicht die Angst selbst das Handeln blockiert oder zu wenig Angst reale Gefahren ausblendet. Die Angst vor dem Fremden scheint derzeit in bestimmten Bevölkerungsschichten recht stark ausgeprägt zu sein. Geschichten des positiven Zusammenlebens werden ausgeblendet und es besteht keine Chance, dass diese auch für das eigene Leben gelten könnten – die Angst blockiert die Sicht auf die positiven Dinge, die Sicht auf die Möglichkeit, konstruktiv zu gestalten als nur blockierend rumzumotzen.

Der Grund für meine Philosophierei: Ich war in dieser Woche Teil einer Diskussion über die Gegenwart und Zukunft: Eigentlich sollte es darum gehen, was sich Leser von ihrem Regionalverlag wünschen, die Diskussion blieb aber irgendwann bei der Frage stecken, wie viel Datensammeln eigentlich in Ordnung geht und welche Regeln in diesem Business vielleicht gelten müssten oder ob es vielleicht doch alles ganz egal ist so lange der Nutzen aus der Herausgabe meiner Daten groß genug ist. Stichwort: Whatsapp und Co. „Ich möchte das nicht, dass ich manipuliert werde“, sagt eine Frau, Mitte 60, bei einer Diskussion und war so erregt, dass sie zwischenzeitlich den Raum verließ, um ein bisschen runterzukommen. Denn emotional ist diese Diskussion allemal. Nicht erst seitdem man aus China hört, dass dort bereits mit Social-Scoring-Modellen experimentiert wird: Wer sich (regierungs-) konform verhält, kann Bonuspunkte sammeln, wer gegen die auferlegten Regeln verstößt, dem droht Punktabzug.
Wie krass getrennt unsere Gesellschaft schon jetzt ist – auf der einen Seite die Digitalisierungsbegeisterten und auf der anderen Seite die -Verweigerer – ist mir an diesem Nachmittag mal wieder aufgefallen. Ich vergesse das immer wieder, denn natürlich bewege ich mich vor allem in Kreisen, in denen die Chancen der Digitalisierung im Fokus stehen. Und auch wenn es oft aufwühlend ist, ich glaube, dass diese Diskussionen trotz aller verhärteten Fronten ein bisschen was bringen. Auf der einen Seite mehr Verständnis, auf eben diese Ängste einzugehen, und auf der anderen Seite die Hoffnung, dass man die Ängstlichen zumindest ein kleines Bisschen bewegen kann, auch über ihren Tellerrand hinweg zu denken.

Und ja: Wir reden noch immer viel zu selten, in großen wie kleinen Runden, ob virtuell oder face-to-face. Denn der Bedarf an Austausch ist auf jeden Fall vorhanden, das merke ich auch immer an den Seminaren und Workshops, die ich in den vergangenen Monaten gegeben habe. Wer sich für „Storytelling mit Instagram Stories“ anmeldet, will oft noch viel mehr als nur dieses Thema: verstehen, wie Dinge funktionieren, ausprobieren, Mechanismen begreifen, Hypes nachvollziehen und Fragen stellen, ohne verurteilt zu werden. Könnten Journalisten dabei nicht grundsätzlich eine viel stärkere Rolle spielen?

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