Mastodon und Twitter: 5 Fragen, 5 Antworten

Twitter-Fans umtreiben derzeit viele Fragen. Ein paar davon versuche ich zu beantworten.

Soll ich bei Twitter bleiben?
Ich für mich habe entschieden (Stand: 23.11., 22.13 Uhr): Ich bleibe noch. Aber ich lese fast alles, was drüber geschrieben wird. Und höre mir das tägliche Therapiegespräch von Gavin Karlmeier und Dennis Horn an. Der einfache Grund: Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es ja vielleicht auch noch gut werden kann.

Wie das?
Elon Musk hat schon immer ein eigenes Verständnis, was gute Kommunikation angeht. Er ist ein großer Anhänger der These „Every PR is good PR“ und wenn man seine Tweets genauer liest, dann bestätigt sich dies. Aufmerksamkeit um jeden Preis – nicht ohne Grund feiert er immer wieder die neuen Höchststände in der „Twitter Usage“, die neuen Rekorde bei den täglichen Nutzer*innen, die Zahl der Teilnehmenden an seinen Umfragen. Und so lange er das Gerede auf Twitter über Twitter, das ja auch in die anderen Medien überschwappt, aufrecht hält, desto mehr profitiert die Plattform in seinen Augen. Die Methoden sind höchst zweifelhaft und mir tun alle Menschen leid, die in den letzten Wochen dadurch ihren Job und einen Teil ihrer Identität verloren haben. Und ja: Auch ich bin mit diesem Text Teil des Systems und ich ärgere mich darüber sogar ein bisschen.

Es könnte also sein, dass Elon Musk diese „Show“ so lange für uns veranstaltet, bis er es geschafft hat, erste Features auszurollen, die uns dann wiederum wieder besänftigen – und er – ganz der Heldengeschichte folgend – zum gefeierten Helden wird. Denn irgendwie muss das Geld ja wieder in die Kasse kommen.

Aber haben sich nicht schon so viele Menschen bei Twitter abgemeldet?
Kann sein. Für einen Kunden habe ich mit meinem Team in den vergangenen Wochen unterschiedliche Accounts zum Monitoring recherchiert. Ergebnis: Vor allem in der Politik- und Wirtschaftsbubble sind alle noch da. Die meisten Abgänge gab es bei meiner Stichprobe unter Journalist*innen.

Mastodon – Top oder Flop?
Kurze Antwort: weder noch, sondern anders.

Hier die lange Version. Mein Gefühl bei Mastodon: Ein bisschen wie 2007 auf Twitter. Vor allem, weil es ruckelt. Lädt manchmal langsam oder gar nicht. Ähnlich wie Nicole Diekmann kann ich Mastodon gerade nur auf dem Handy lesen, weil auf dem Desktop irgendwas mit den Passwörtern schiefgelaufen ist.

Doch nicht nur das: Es sind zwar schon einige auf den Mastodon-Plattformen. Aber ich bekomme dort nicht, weshalb ich immer noch gerne auf Twitter bin. Für mich ist Twitter der letzte Ort, an dem ich meinen Durst nach Nachrichten, unterschiedlichen Perspektiven und Meinungen ausleben kann. (Nach langen Jahren als Online-Journalistin oder in der Rolle der Chefin vom Dienst am Newsdesk). Soweit ist Mastodon (vielleicht noch) nicht.

Soll ich mich auf Mastodon anmelden?
Wenn du gerne neue Social-Media-Kanäle ausprobierst, dann kann ich dir das durchaus empfehlen. Du findest mich übrigens hier.

Manche befürchten, Twitter geht wegen Sicherheitslücken, Hacks oder ähnlichem in die Knie. Und dann?
Glaubt man den vielen gefeuerten ehemaligen Twitter-Angestellten und Experten ist das durchaus ein Szenario, das eintreten könnte. Und falls du dich fragst, wo du dann deine lustigen 280-Botschaften platzieren sollst, McSweeney hat wirklich hilfreiche Tipps zusammengestellt.

Dieser Text ist zuerst in abgewandelter Form in meinem Newsletter erschienen. Hier kannst du ihn abonnieren.

Von Carl Rogers lernen

Als der Sohn vor ein paar Monaten über eine angemessene Höhe seines Taschengelds sprechen wollte, war nicht etwa der Vergleich mit den Sätzen seiner Freunde der Anlass dafür. Vielmehr hatte er auf Tiktok ein Video gesehen. Thema: Die Taschengeldtabelle aus dem Portal des Bundesfamilienministeriums. Das Video stammte allerdings von keinem klassischen Medium, sondern vom persönlichen Account eines Influencers. Woran das liegt? Zum einen natürlich an seinem Nutzungsverhalten. Aber auch an der Art der Aufbereitung eines solchen Themas. 

Welchen Einfluss Social-Media-Accounts von Medienmarken, aber natürlich vor allem von Influencern oder anderen personenfokussierten Accounts auf die Meinungsbildung von jungen Menschen haben, das hat kürzlich eine neue Usethenews-Studie untersucht. Sie kommt zu folgenden spannenden Ergebnissen (arg verkürzt): 

1. Junge Menschen folgen Accounts aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die wichtigsten Motive sind: Kommunikation & Integration, Wissen & Information, Unterhaltung & Zeitvertreib, Orientierung & Werte, Inspiration & Motivation sowie soziale Nähe & Einblick. Die dadurch entstehende „Timeline“ ist eine Mischung aus all diesen Bedürfnissen. 

2. Junge Menschen schätzen Persönlichkeiten mit spezifischem Wissen auch für ihre eigene Meinungsbildung. Sie gehen davon aus, dass sie sich durch sie eine „’fundierte‘ und ‚professionelle‘ Meinung“ bilden können, aber auch „‚persönliche‘ bzw. ‚überblicksartige‘ Meinung zu bilden, um in Gesprächen oberflächlich mitreden und sich über ‚lustige‘ Ereignisse austauschen zu können.‘

3. Auch Nachrichtenangebote in Social Media werden genutzt: Sie erfüllen überwiegend Wissens-, Informations- und Kommunikationsbedürfnisse und werden als glaubwürdig und vertrauenswürdig geschätzt.

4. Und aus 3. ergibt sich folgende Interpretation: Traditionellen Medien muss es gelingen, die Relevanz wieder reinzuholen, die sie vielleicht eingebüßt haben, weil viele junge Menschen sie aus den unterschiedlichsten Gründen gar nicht mehr kennen. Das kann gelingen, wenn sie sich geschickt auf den Kanälen platzieren, auf denen diese Menschen unterwegs sind.

5. Eine solche Strategie kann allerdings nur gelingen, wenn sich die Marke als unabhängiger und vertrauenswürdiger Akteur platziert und bedürfnisorientiert kommuniziert. 

Wie wichtig das ist, wie häufig es vernachlässigt wird und warum viele junge Menschen bestimmte (Medien-)Marken gar nicht erst kennenlernen, wurde mir am Sonntag in meiner Fortbildung bewusst. Dort diskutierten wir die Kriterien von „personzentrierter Gesprächsführung“. Die definierte der Psychologe Carl Rogers einst und prägt mit ihnen seitdem nicht nur Psychotherapie, sondern auch die Pädagogik: Sie lauten Kongruenz, Wertschätzung und Empathie. 

Und sind das nicht auch die Kriterien, die dabei helfen, eine gute digitale Kommunikation mit Zielgruppen aller Art aufzubauen? Nicht nur mit den Jüngeren? Und sind das nicht genau die Kriterien, die viele Medienmarken und Unternehmen in ihrer Kommunikation gerne mal vernachlässigen? 

Wenn du solche Texte direkt in dein Postfach willst, abonnier meinen Newsletter.

Mastodon oder Twitter oder müssen wir uns gar nicht entscheiden?

Mittwochmittag kam der erste Anruf: „Wir verlieren Follower. Meinst du, das liegt an Elon Musk?“ Offenbar gibt es auch in deutschen Kommunikationsteams durch den Einstieg von Elon Musk bei Twitter Gesprächsbedarf. Sind die jetzt alle auf Mastodon? Müssen wir da jetzt auch hin? Und wie erreichen wir eigentlich in Zukunft unsere Zielgruppe, die wir jetzt ziemlich gut über Twitter bedienen? All diese Fragen haben wir andiskutiert. Damit du auch etwas davon hast: der Reihe nach.

Gehen jetzt alle zu Mastodon? Erste Antwort: nein. Zweite Antwort: Glaubt man dem Mastadonusercount-Account dann haben sich gerade einmal 200.000 Menschen in der vergangenen Woche bei Mastodon angemeldet. Das ist wenig. Insgesamt gibt es jetzt knapp 6 Millionen Mastodon-Nutzende im Vergleich zu 211 Millionen bei Twitter.

Vermutlich gibt es andere Gründe für den Follower-Rückgang. Sollte sich der eine oder andere im Zuge des Musk-Deals bei Twitter abgemeldet haben, heißt das noch lange nicht, dass diese Menschen dann auch zu Mastodon gehen. Vielleicht geben sie ja sogar Facebook wieder eine Chance?

Muss ich jetzt auch zu Mastodon? Müssen ist ja ein sehr großes Wort. Wenn du dich dafür interessierst, welches soziale Netzwerk sogar die obersten Datenschützer Deutschlands cool finden, dann meld dich an. Soll aber auch Leute geben, die genau das abschreckt. Meine Haltung hier ist: Es schadet nie, sich mit neuen Netzwerken zu befassen, herauszufinden, was auf diesen gut funktioniert. Ob Menschen es aktiv nutzen und ob eine relevant hohe Zahl an Menschen hier mittelfristig eine Alternative findet, die die eigenen Bedürfnisse befriedigt.

Was kann Mastodon? Tweets heißen dort Tröts und können 500 Zeichen umfassen. Die Usability ist bisher anstrengend. Mastodon besteht aus einem dezentralen Netzwerk von verschiedenen Servern, sogenannten „Instanzen“. Diese werden von Privatpersonen oder Gemeinschaften betrieben, derzeit gibt es knapp 4000 davon. Fun Fact: Die Bestätigungsmail zur Aktivierung meines Accounts benötigte drei Tage bis zum Eingang in meinem Postfach. Das ist sehr lang.

Kann ich noch bei Twitter bleiben? Dagegen spricht aus meiner Sicht erstmal nichts. Fakt ist aber: Twitter wird sich verändern. Eine von Musks ersten Amtshandlungen war, große Teile der Führungsriege auszutauschen. Weitere werden vermutlich folgen. Im ausgeloggten Zustand bekommt man auf Twitter.com nun Trending Topics ausgespielt. Das kostenpflichtige Produkt „Twitter Blue“ soll offenbar so schnell wie möglich an den Start gehen. All das kann Schlechtes bedeuten, aber vielleicht auch nicht. Fakt ist: Twitter hat seit Jahren zahlreiche Probleme nicht in den Griff bekommen, zum Beispiel das Thema „Content-Moderation“ (sehr lesenswert dazu). Ich würde abwarten, bis die ersten Veränderungen wirklich sichtbar werden. Und das kann auch bedeuten, Werbekampagnen erstmal zu pausieren.

Am Ende ist es natürlich eine strategische Entscheidung: Kann ich es für mein Unternehmen oder mich vertreten, auf der Plattform unterwegs zu sein? Kann ich dort meine Ziele und Zielgruppe erreichen oder gibt es andere Möglichkeiten? Kann ich auf anderen Wegen genauso gut Teil des gesellschaftspolitischen Diskurses sein?

Dieser Text ist zuerst in meinem wöchentlichen Newsletter erschienen. Hier kannst du ihn abonnieren.