Von Carl Rogers lernen

Als der Sohn vor ein paar Monaten über eine angemessene Höhe seines Taschengelds sprechen wollte, war nicht etwa der Vergleich mit den Sätzen seiner Freunde der Anlass dafür. Vielmehr hatte er auf Tiktok ein Video gesehen. Thema: Die Taschengeldtabelle aus dem Portal des Bundesfamilienministeriums. Das Video stammte allerdings von keinem klassischen Medium, sondern vom persönlichen Account eines Influencers. Woran das liegt? Zum einen natürlich an seinem Nutzungsverhalten. Aber auch an der Art der Aufbereitung eines solchen Themas. 

Welchen Einfluss Social-Media-Accounts von Medienmarken, aber natürlich vor allem von Influencern oder anderen personenfokussierten Accounts auf die Meinungsbildung von jungen Menschen haben, das hat kürzlich eine neue Usethenews-Studie untersucht. Sie kommt zu folgenden spannenden Ergebnissen (arg verkürzt): 

1. Junge Menschen folgen Accounts aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die wichtigsten Motive sind: Kommunikation & Integration, Wissen & Information, Unterhaltung & Zeitvertreib, Orientierung & Werte, Inspiration & Motivation sowie soziale Nähe & Einblick. Die dadurch entstehende „Timeline“ ist eine Mischung aus all diesen Bedürfnissen. 

2. Junge Menschen schätzen Persönlichkeiten mit spezifischem Wissen auch für ihre eigene Meinungsbildung. Sie gehen davon aus, dass sie sich durch sie eine „’fundierte‘ und ‚professionelle‘ Meinung“ bilden können, aber auch „‚persönliche‘ bzw. ‚überblicksartige‘ Meinung zu bilden, um in Gesprächen oberflächlich mitreden und sich über ‚lustige‘ Ereignisse austauschen zu können.‘

3. Auch Nachrichtenangebote in Social Media werden genutzt: Sie erfüllen überwiegend Wissens-, Informations- und Kommunikationsbedürfnisse und werden als glaubwürdig und vertrauenswürdig geschätzt.

4. Und aus 3. ergibt sich folgende Interpretation: Traditionellen Medien muss es gelingen, die Relevanz wieder reinzuholen, die sie vielleicht eingebüßt haben, weil viele junge Menschen sie aus den unterschiedlichsten Gründen gar nicht mehr kennen. Das kann gelingen, wenn sie sich geschickt auf den Kanälen platzieren, auf denen diese Menschen unterwegs sind.

5. Eine solche Strategie kann allerdings nur gelingen, wenn sich die Marke als unabhängiger und vertrauenswürdiger Akteur platziert und bedürfnisorientiert kommuniziert. 

Wie wichtig das ist, wie häufig es vernachlässigt wird und warum viele junge Menschen bestimmte (Medien-)Marken gar nicht erst kennenlernen, wurde mir am Sonntag in meiner Fortbildung bewusst. Dort diskutierten wir die Kriterien von „personzentrierter Gesprächsführung“. Die definierte der Psychologe Carl Rogers einst und prägt mit ihnen seitdem nicht nur Psychotherapie, sondern auch die Pädagogik: Sie lauten Kongruenz, Wertschätzung und Empathie. 

Und sind das nicht auch die Kriterien, die dabei helfen, eine gute digitale Kommunikation mit Zielgruppen aller Art aufzubauen? Nicht nur mit den Jüngeren? Und sind das nicht genau die Kriterien, die viele Medienmarken und Unternehmen in ihrer Kommunikation gerne mal vernachlässigen? 

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