Wie ich einmal Wahlhelferin bei der Bundestagswahl war und was ich dabei gelernt habe

Auch wenn die Überschrift zu diesem Text wie einer dieser LinkedIn-Posts klingen mag: Ich habe am Sonntag bei der Bundestagswahl als Wahlhelferin wirklich etwas gelernt. Und – um es vorwegzunehmen – ich bin mir sicher, dass ich auch beim nächsten Mal etwas dabei lernen werde. Aber fangen wir mal von vorne an.
- Wie so eine Wahl abzulaufen hat – mit den unzähligen freiwilligen Wahlhelferinnen und Wahlhelfern in ganz Deutschland und was man diesen Menschen an die Hand geben sollte, darüber haben sich sehr viele Menschen Gedanken gemacht. Es finden im Vorfeld unterschiedlichste Schulungen statt, in denen diese Personen vorbereitet werden, es werden Unterlagen erstellt, die jeder im Zweifel nochmal nachlesen kann, es gibt telefonischen Support bei unklaren Fällen und im Zweifel kommt auch jemand vorbei – zumindest hier in der Stadt. Allein wie der Wahlkoffer mit all den notwendigen Umschlägen und Markierungsmaterialien gepackt worden ist – mit Post-its, Gummibänder für die Wahlscheinpakete, Tesa-Abrolldings plus Notfallschere, falls da was nicht funktioniert. Sagen wir es so: Ich war durchaus beeindruckt.
- Der spannendste Job während der Wahl ist der an der Ausgabe der Wahlzettel. Bei hoher Wahlbeteiligung hat man in seiner Schicht einfach immer was zu tun. Weiterer Vorteil, wenn man im Wahllokal des eigenen Stadtviertels eingesetzt wird: Du erfährst endlich, wie die Leute aus deiner Straße heißen, die du zwar regelmäßig freundlich gegrüßt und mit ihnen gesmalltalkt hast, aber keinen Namen kanntest.
- Natürlich kann ich mich täuschen, aber ich habe bei vielen Menschen, die das Wahllokal betreten haben, gespürt, mit welcher Absicht sie hierhergekommen sind. Eine gewisse Grundaggressivität in der Aura bei der Protestwahl, das freundliche Lächeln meinerseits durfte keinesfalls erwidert werden. Die Demokratiefans, die selbst in ihrem manchmal hohen Alter stolz zur Urne schreiten. Die Familien, die ihre Kinder an Politik heranführen und diese sogar mit in die Wahlkabine nehmen wollen.
- Nachdem ich an der Schulung teilgenommen hatte, war ich bereits schwer beeindruckt, von dem Auszählprozedere, dass da angepriesen wurde und vermutlich über Jahre erprobt und optimiert wurde. Dass meine erfahrenen Kolleginnen dieses Prozedere allerdings nochmal optimiert hatten – Chapeau.
- In jeder Gruppe gibt es die Skeptiker, die Mitläufer, diejenigen, die voranschreiten, die ausgleichen und deeskalierend wirken. Auch das war sehr schön zu beobachten, auch wenn ich natürlich Teil dieses Systems war.
- Ich war tatsächlich schon um kurz nach 20 Uhr zu Hause.
- Seit 2016 habe ich keine Wahl mehr in einer Redaktion verfolgt. Seitdem überkam mich jedes Mal an einem Wahlabend die Sehnsucht nach eben jenem Ort, nach dem Befüllen des Livetickers, die Suche nach dem Besonderen in den Geschichten, den besten Bildern, das Verteilen der Inhalte auf die unterschiedlichen Kanäle, dazu Pizza. Sonntag war der Wahlabend, an dem ich all das nicht vermisste, sogar das Gefühl hatte, nichts zu verpassen. Keine Schalten zu irgendwelchen leeren Politikerstatements, die sich entweder feiern, Niederlagen eingestehen oder auf den Verlauf des Abends hoffen. Nichts. Stattdessen konzentriertes Zählen und Sortieren. Herrlich.
- Im Nachhinein habe ich in diversen Blogs (!) von anderen Erfahrungsberichten gelesen. Und habe den Eindruck, dass die Hamburger ihr eigenes Prozedere entwickelt haben. Kann es sein, dass man nicht einmal auf solchen Ebenen Synergien hebt, sondern vermutlich sogar jeder Wahlkreis sein eigenes Süppchen kocht? Überraschen würde es mich nicht. Nur enttäuschen.
- Ich hätte nicht gedacht, dass mich konzentriertes Zählen so sehr anstrengt. Um zehn Uhr lag ich im Bett. Ein paar Minuten später war ich eingeschlafen (Zeugenbericht).
Vielen Dank für diesen spannenden (soziologischen) Einblick! Das macht mir Lust darauf, mich selbst einmal als Wahlhelferin zu bewerben. Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wer die Personen sind, die da sitzen, oder wie man dazu kommt. Ich werde mich schlau machen, um auch endlich die Namen der Menschen in meiner Umgebung kennenzulernen.