Warum Journalismus so anfällig für Desinformationsstrategien ist

In einer der letzten Ausgaben des Corona-Virus-Updates sprach Charité-Professor Christian Drosten mal nicht nur über die neuesten Erkenntnisse zum Thema Impfen und Co., sondern ging auch auf die Rolle von Medien und Journalist*innen ein, die in der derzeitigen Situation nicht immer nur eine rühmliche ist. Seiner Meinung nach trügen Medien einen großen Teil dazu bei, dass in Deutschland „Grundprinzipien der Wissenschaftsleugnung“ zu erkennen seien. (Denkt in den Redaktionen eigentlich noch jemand nach, wenn dort „Stramme Notbremse verhindert“ in die Dachzeile geschrieben wird?). Ich fand es einigermaßen erstaunlich, dass ein Virologe im Podcast die PLURV-Strategien zur Desinformation erläutert.

Nun ist das vor allem Drostens Eindruck, doch dieser hat natürlich eine Berechtigung, wenn man sich die unterschiedlichen Strategien einmal genauer anschaut und einordnet, wie anfällig Journalist*innen für diese Form von Einflussnahme sind. (Was (Krisen-)Kommunikatoren natürlich auch in allen möglichen Kontexten nutzen). Aber der Reihe nach und Buchstabe für Buchstabe in PLURV erklärt:

P steht für Pseudoexperten: Eine unqualifizierte Person wird als Experte hinzugezogen.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Um den Vorwurf der einseitigen Berichterstattung vorzubeugen, sollen möglichst alle Seiten eines Problems dargestellt werden und viele Perspektiven gezeigt werden. Problematisch wenn Minderheits- bzw. nicht wissenschaftlich gestützte Meinungen hier auf gleicher Höhe präsentiert werden. Das ist umso verlockender, weil steile Thesen häufig überraschender sind und im Online- und Social-Media-Zeitalter so leichter Aufmerksamkeit bringen.

L steht für Logikfehler: Argumente sind bei näherer Betrachtung unlogisch.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Einfache Worte, verständliche Argumente, Zuspitzung das wollen die Leser*innen, Zuhörer- und Zuschauer*innen – das kann zu Lasten der Korrektheit gehen. Personalisierung ist ein gern verwendetes Mittel, um komplexe Sachverhalte darzustellen (Gefahr der Ad-Hominem-Argumentation), Analogien können irreführend sein, mehrdeutige Begriffe können anders interpretiert werden.

U steht für unerfüllbare Erwartungen: zum Beispiel an die Wissenschaft.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Ein aktuelles und vor allem relevantes Thema bringt Aufmerksamkeit, Klicks, Traffic, Abos, also braucht es immer wieder neue Drehs, Wendungen, Argumente. Wissenschaftler*innen können im Fall der Corona-Pandemie nur gebetsmühlenartig wiederholen, was die geeignete Maßnahmen sind. Doch der immer gleiche Hinweis auf AHA-Regeln und Co. bringt ebendiese Aufmerksamkeit nicht.

R steht für Rosinenpickerei: Informationen werden bewusst lückenhaft ausgewählt, so dass sie die eigene Position zu stützen scheinen.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Auch hier kommen wirtschaftliche Interessen zum Tragen – verkürzt: je besser die Geschichte, desto mehr Aufmerksamkeit, desto mehr Umsatz.

V steht für Verschwörungsmythen: Geheimbünde, Komplotte, abstruse Zusammenhänge werden konstruiert.
Warum Journalist*innen hier anfällig sind: Im Kampf um Aufmerksamkeit werden immer wieder neue Drehs, neue Aspekte gesucht – Hauptsache die Story stimmt. Zudem: In vielen Redaktionen gilt das Credo bei Geschichten um eine Person: Auch keine Reaktion ist eine Reaktion. Menschen, die hier nicht so erfahren im Umgang mit Medien sind, können hier ganz schnell in Ecken gestellt werden, in die sie ganz und gar nicht reingehören.

Warum ich das aufschreibe? Weil ich hoffe, dass sich Journalist*innen gerade jetzt ihrer Verantwortung bewusst sind, auch wenn sie monetäre Interessen verfolgen.

Grafik kennst du, oder?

Dieser Text war Teil meines wöchentlichen Newsletters. Hier kannst du ihn abonnieren.

Kommentare sind geschlossen.