Der Magier im Kreml oder das Spiel, das wir alle mitspielen

Ich habe „Der Magier im Kreml“ gelesen. Kein Sachbuch, keine Biografie. Sondern ein Roman von Giuliano da Empoli, der besser erklärt, wie digitale Kommunikation, Macht und Manipulation heute zusammenspielen. Er zeigt eindrücklich, wie Kommunikation zur Waffe wird – und wir alle Teil der Spielregeln sind, die Putin und seine Strategen seit Jahren vorgeben. Und wir spielen mit. Ob wir wollen oder nicht. 

Der Roman basiert auf realen Personen und wahren Begebenheiten. Im Zentrum: Wadim Baranow, ein fiktiver Putin-Berater, der als ehemaliger Regisseur und Reality-TV-Produzent Einblick in den Maschinenraum des Systems Putin gibt. 


Was Giuliano da Empoli beschreibt, ist kein klassisches Propaganda-Modell. Es geht nicht darum, Menschen zu überzeugen, sondern darum, Deutungsräume zu besetzen. Möglichst viele. Und gleichzeitig. „Wir müssen niemanden bekehren (…), nur herausfinden, woran sie glauben, und sie darin bestärken.“ Es geht also um kontrollierte Spaltung, algorithmisch verstärkt. Und wir sehen sie täglich auf allen Plattformen. 

Drei Mechanismen, die das System stützen – auch bei uns.

1. Sichtbarkeit dominiert. 
„Inmitten all der Veränderungen sind wir nicht darauf trainiert, die Dinge zu erkennen, die gleich bleiben.“
Wir reagieren auf Trends, Aufreger, Breaking News. Aber die zugrundeliegenden Narrative bleiben oft unsichtbar. Aufmerksamkeit frisst Kontext.
 

2. Angst ist ein stabiler Trigger. 

„Die Politik reagiert auf die Ängste der Menschen.“ 
Putins Kommunikation setzt auf Drohung, nicht auf Argument. Angst erzeugt Handlung, und wer verspricht, diese Angst kontrollieren zu können, sichert sich Macht.
„Die einzige Waffe, die ein Armer hat, um seine Würde zu bewahren, ist es, anderen Angst einzuflößen.“
Das ist keine Randnotiz. Es ist das Prinzip, nach dem ganze Diskurse gebaut werden – online wie offline. Die Plattformlogiken verstärken das zusätzlich: Angst klickt, Angst verbreitet sich, Angst mobilisiert. Und sie gibt Macht, selbst da, wo keine ist.
 

3. Enthüllung als Verstärker 

„Alles, womit man Stärke vorgaukelt, lässt sie tatsächlich wachsen.“ 

Das System kalkuliert ein, entlarvt zu werden. Oder: Was wir eine Entlarvung wirkt, ist oft einkalkuliert. Denn – so die Logik, diese Entlarvung verstärkt die eigene Machtposition sogar noch. Weil sie die Erzählung von Einfluss, Stärke und Undurchschaubarkeit bestätigt. Auch das lässt sich auf Marken- oder Krisenkommunikation übertragen: Wer Empörung klug steuert, beherrscht das Narrativ.

Und diese Logik funktioniert nicht nur auf geopolitischer Ebene, sondern auch in der Marken- und Krisenkommunikation: Wer geschickt mit Skandalen umgeht, kontrolliert oft weiter das Narrativ. Sichtbarkeit wird zur Strategie.

Technologie war nie neutral

Da Empoli erinnert: Fast alle Technologien, die unser Leben prägen – Computer, Internet, GPS – entstanden im militärischen Kontext. Kontrollwerkzeuge, keine Emanzipationshilfen.
Und heute? „Die Datenexplosion hat aus der Menschheit ein einziges Nervensystem gemacht.“ Facebook habe geschafft, was der KGB nie konnte: permanente Selbstüberwachung. Und das auf freiwilliger Basis. Und das gilt ja nicht nur für Facebook. 

Was bleibt?

Der Magier im Kreml ist kein Roman über Russland. Es ist ein Roman über Macht. Über Narrative. Und darüber, wie leicht wir alle Teil eines Spiels werden, dessen Regeln wir nicht gemacht haben. Gerade in der digitalen Kommunikation.

Für alle, die Kommunikation gestalten – ob für Organisationen, Marken oder Medien – ist dieses Buch Pflichtlektüre. Weil es uns zwingt, nicht nur auf das Bewegte zu schauen, sondern auf das, was sich nicht verändert. Und weil es deutlich macht: Deutungsmacht ist keine Theorie. Sie ist Strategie. 

Und damit ende ich mit dem Zitat, dass der Autor dem Buch vorangestellt hat: „Das Leben ist eine Komödie. Man muss sie ernsthaft spielen.“

13 Erkenntnisse von der re:publica 2025 (plus Bonus-Punkte!)

1. Digitale Mündigkeit beginnt bei uns selbst. Gleich in der Eröffnungssession appelliert re:publica-Gründer Andreas Gebhard an die Teilnehmenden: „Fragt euch nicht, was die digitale Gesellschaft für euch tun kann, fragt euch, was ihr für sie tun könnt.“ 


2. Jede Generation bringt ihre Superkraft ins Netz. Das Motto dieser re:publica lautete „Generation X, Y, Z“. Unabhängig davon, wie man zu diesen Zuschreibungen steht, mochte ich, dass Johnny Haeusler gleich zu Beginn eine Zuschreibung brachte, die aber zeigte, wie wichtig es ist, auf das Gemeinsame zu fokussieren: Generation X hackt Systeme, Y baut Communities, Z lässt Inhalte viral gehen. (Hier nachgucken)

3. Während die einen diskutieren, machen die anderen. Die Wissenschaftler*innen Marielle-Sophie Düh und Frederik Heinz beschrieben Chinas konsequenten Weg zu einer souveränen KI, der aus Planung, einer sehr umfangreichen Bereitstellung finanzieller Mittel, Kooperation und späterer Regulierung besteht. Ein Grund, warum Deepseek so schnell und recht positiv besprochen auf den Markt kam. (Hier angucken)

4. Faschismus wird mehrheitsfähig, wenn die demokratische Gegenwart als unerträglich und zerstörungswürdig wahrgenommen wird. In ihrem Talk beschreibt die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl zeigt, mit wie Faschismus funktioniert, mit welchen Mitteln agiert wird und dass vieles, was wir jetzt schon auf und im Umgang mit (sozialen) Medien erleben, eben solche Züge hat. Und ich war froh, dass sie zum Schluss auch auf Gegenstrategien eingeht. (Hier angucken)

5. Wie lange sind unsere Gedanken noch frei (und sind sie es überhaupt noch?) Mind-Reading-AI rückt näher. Der Journalist Janosch Delcker beschrieb, was heute mit Technologie bereits geht (eine Menge!) und fragte: Wie behalten wir die Kontrolle über das Innerste? Vor dem Hintergrund, dass wir ja schon jetzt mit Narrativen Einfluss auf das genommen wird, was wir denken, fand ich die Auseinandersetzung mit Delckers Vortrag sehr ernüchternd, aber wichtig. (Hier angucken)

6. Nichts eint so sehr wie ein gemeinsamer Feind. Keine neue Erkenntnis, aber ein guter Spruch, um auch die Betrachtung von Thomas Knüwer und Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach hin. Die beiden beschrieben, wie digitale Vernetzung neue Kirchen und Gottesdienste erzeugen. Von Fußball-Ritualen (Was für eine krasse Choreografie das beim Abschied von Thomas Müller war), bis hin zu Popkonzerten von Taylor Swift.

7. Aufmerksamkeit schlägt Inhalt.
Dirk von Gehlen erinnert: Wer gehört werden will, muss Aufmerksamkeit generieren – eventuell selbst auf Kosten der Tiefe. Sein Talk war zudem eine erfrischende Erinnerung daran, dass wir es selbst in der Hand haben, wem oder was wir Aufmerksamkeit schenken. (Hier angucken)

8. How to: die perfekte Präsentation. Der Performance-Künstler und Berater Marcus John Brown erklärt in einer extrem lohnenswerten und unterhaltsamen halben Stunde, wie man perfekt präsentiert. Keine Egoshow, sondern Fokus auf echte Wirkung. Letztere hilft, löst, bleibt. (Hier angucken)

9. Plattformen sind gestaltbar – wenn wir wollen. Der Wissenschaftler Philipp Lorenz-Spreen beschreibt, wie Benachrichtigungen und Newsfeeds unsere Aufmerksamkeit fordern und unseren Alltag und politischen Systeme verändern. Plattformen sind dabei politische Machtinstrumente geworden. Um daraus auszubrechen, müssen wir zurück zum Kern ihrer Macht: unserer Aufmerksamkeit. Für mich neu war sein Hinweis auf das Prosocial Design Network. Hier werden Designfeatures für digitale Plattformen sammelt, wie digitale Räume gesund, die die menschliche Würde respektierend und gesellschaftsverbessernd gebaut werden können – wissenschaftlich untersucht! (Hier angucken)

10. „We are in danger. But we are not yet in the red zone. We have a chance to turn this around. It’s important to stand up for science.“ Johan Rockström vom PIK Potsdam über den Status quo der Klimakrise. (Hier angucken)

11. Generationsbegriffe sind Quatsch – und doch wirksam.
Der Wissenschaftler Christoph Daldrop warnt: Wer an Generationszuschreibungen glaubt, wird ihnen entsprechen.

12. Wir brauchen Räume für Differenz – nicht nur Einigkeit.
Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach mahnt: Ohne Diskurs und Kompromisskultur zerbröselt gesellschaftlicher Zusammenhalt.

13. Spaß muss sein. Ich schätze es sehr, dass die re:publica jedes Jahr neben all den ernsten Themen auch den Umgang mit Internethumor (Memes, Shrimp Jesus etc.) Raum gibt. Oder eine Gameshow über unsere Social-Media-Geflogenheiten ermöglicht: Gavin Karlmeier, Dennis Horn und Nicole Diekmann haben quasi Familienduell gespielt (und ich war im Team Horn). (Hier angucken)

Und hier die Bonuspunkte:

14. Man kann 30.000 Besuchenden an drei Tagen veganes Essen zumuten.

15. Karaoke macht so viel Spaß. Vor allem auf der re:publica mit dem CherrYO!kie-Team. Habe alles an diesem Montagabend geliebt.

16. Es kann dir gelingen, Menschen an keinem der drei Tage zu begegnen.

17. Das alkoholfreie Brlo-Bier vom Fass schmeckt ausgesprochen gut. Wie Radler nur ohne Süße.

18. Der Innenhof ist der beste Ort.

19. Die meisten Menschen auf der re:publica waren die zwischen 1980 und 1996 Geborenen.

20. Site-Events kannst du auch selbst organisieren.

21. Ich bin angeblich ein Rolemodel für Selbstständige.

22. Der Sandmann war da und ich habe kein Foto gemacht.

23. Auf dem Hinterhof ist es auch ganz nett.

24. Schon zwei Ideen für Talkeinreichungen für die nächste re:publica.

25. Häng noch einen Tag dran, dann schaffst du es auch, dir ein bisschen die Stadt anzuschauen.

Keine Goldenen Blogger 2025

Thomas Knüwer

Vermutlich gab es in den vergangenen 18 Jahren kein Jahr, in dem es wichtiger gewesen wäre, Menschen eine Bühne zu bieten, die das Internet konstruktiv, demokratiefördernd und inspirierend nutzen – Menschen, die Inhalte schaffen, die verbinden statt spalten.

Dennoch müssen wir Euch schweren Herzens mitteilen: 2025 wird es keine Verleihung der Goldenen Blogger geben. Diese Entscheidung ist uns sehr, sehr schwergefallen.

In den vergangenen 18 Jahren haben wir neben unseren Jobs und Familien viel Herzblut und Energie in die Goldenen Blogger gesteckt – ein Projekt, das uns nie finanziellen Gewinn gebracht, sondern jedes Jahr aufs Neue vor die Herausforderung gestellt hat, die Kosten zu decken.

In diesem Jahr fehlt uns die Kapazitäten und ja, auch die Kraft dafür. Berufliche Projekte und familiäre Verpflichtungen lassen uns aktuell nicht den Raum, den dieses Herzensprojekt verdient hätte. Zu dieser Kraftanstrengung gehört auch die Akquise von Sponsoren.

Unser großer Dank gilt allen Menschen und Unternehmen, die uns in den vergangenen 18 Jahren unterstützt haben – und die dazu beigetragen haben, den Perlen des Internets Jahr für Jahr eine Bühne zu geben.

Ob es eventuell in 2026 weitergehen kann, wird sich zeigen.

Mit dem E-Scooter durch Deutschland – warum das vielleicht doch eine gute Idee ist

In der Woche vor Ostern berichtete Jan Böhmermann auf Instagram darüber, wie er sechs Tage lang durch Deutschland vor – von Köln-Ehrenfeld nach Chemnitz. Jeden Abend habe ich mir seine Tagesberichte angeschaut und darüber nachgedacht, was er aus diesen sechs Tagen wohl in seine 30-minütige Sendung bringen würde. Das interessante: Nicht viel mehr, als ich nicht schon auf Instagram erfahren hatte, ein paar Begegnungen mit den Menschen unterwegs mehr waren dabei, aber ansonsten war es eigentlich eine Art Road-Trip, mit vielen Bildern von einem Mann, der den E-Roller als Transportmittel ein bisschen zu romantisch sieht.

Nach einer Nacht habe ich nun eine etwas differenzierte Meinung. Denn: Böhmermann sagt in seiner Sendung, dass er diesem Trip vor allem deshalb gemacht habe, um mal abzuschalten von den ganzen Nachrichten, die digital täglich auf uns hineinprasseln, den Blick zu richten auf das, was wirklich ist, auf die Menschen.

  • Als ich in den Osterferien im Auto auf der A1 auf dem Weg nach Norden war, um meine Mutter zu besuchen, bemerkte ich: weniger Baustellen, gut gepflegte Häuser mit ihren Vorgärten, das langsam erwachende Grün an den Bäumen und Sträuchern.
  • Der Blick über die Felder, Kühe, Schafe, vereinzelt ein paar Pferde. Storche und andere hochbeinige Tiere, die ich beim schnellen Vorbeifahren nicht erkennen konnte. Idylle.
  • Ein gut ausgebauter Weg rund um den Bederkesaer See – kein Müll, sondern alles sehr gepflegt. Es geht uns gut.

Vielleicht ist es genau das, was Böhmermann selbst brauchte und ein wenig vermitteln wollte: Es geht uns gut, wir müssen uns nur die Zeit dafür nehmen, genau hinzusehen.

Buch: Markus Pfeifer – Springweg brennt

Ich habe nach langer Zeit mal wieder ein Buch im Internet bestellt. Aber nicht, wie du jetzt vielleicht denkst, sondern weil ich Lust darauf hatte, von Markus Pfeifer eine Widmung zu bekommen. Die verspricht der liebe Herr Autor nämlich und nein, ich habe mir keine besondere gewünscht und habe mich überraschen lassen.

Jedenfalls habe ich dieses Buch bestellt und es nur einen Tag später in einem Rutsch durchgelesen. Das geht schon allein, weil die Geschichte gerade einmal 135 Seiten benötigt. Aber auch weil Markus Pfeifer so schön erzählt, dass ich einfach dranbleiben wollte.

„Springweg brennt“ ist eine Novelle und erzählt aus der Hausbesetzerszene in Utrecht 1995 und 1996. Wenn du, wie ich, schon immer wissen wolltest, wie es eigentlich möglich ist, dass Häuser jahrelang besetzt sein können, dann ist das Buch ein super Einstieg. Es beschreibt das Vorgehen, die Vernetzung der Szene, die akribische Vorbereitung einer Besetzung und das ausgeklügelte Miteinander von Besetzern, Behörden und Polizei. Und so besetzen Markus und seine Freunde das Haus im Springweg 23. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern dreimal. Sie leben dort, erfahren mehr über die Geschichte des Hauses.

Ich wollte das Buch nicht wegen des Themas, sondern wegen des Autorens lesen. Denn Markus schreibt seit gefühlt ewig ins Internet und wie bei so vielen Menschen, die ihr Leben auf einer Webseite festhalten, hat sich über die Jahre eine gewisse Nähe aufgebaut, obwohl wir uns glaube ich noch nie so richtig persönlich begegnet sind.

Na, zumindest habe ich mich gefreut, dass ich mit diesem Gefühl nicht alleine bin, denn die Widmung von Markus lautete „Für Franzi, in langjähriger digitaler Freundschaft“.

Also: Lies das. mek ist super.

Wie ich einmal Wahlhelferin bei der Bundestagswahl war und was ich dabei gelernt habe

Auch wenn die Überschrift zu diesem Text wie einer dieser LinkedIn-Posts klingen mag: Ich habe am Sonntag bei der Bundestagswahl als Wahlhelferin wirklich etwas gelernt. Und – um es vorwegzunehmen – ich bin mir sicher, dass ich auch beim nächsten Mal etwas dabei lernen werde. Aber fangen wir mal von vorne an.

  1. Wie so eine Wahl abzulaufen hat – mit den unzähligen freiwilligen Wahlhelferinnen und Wahlhelfern in ganz Deutschland und was man diesen Menschen an die Hand geben sollte, darüber haben sich sehr viele Menschen Gedanken gemacht. Es finden im Vorfeld unterschiedlichste Schulungen statt, in denen diese Personen vorbereitet werden, es werden Unterlagen erstellt, die jeder im Zweifel nochmal nachlesen kann, es gibt telefonischen Support bei unklaren Fällen und im Zweifel kommt auch jemand vorbei – zumindest hier in der Stadt. Allein wie der Wahlkoffer mit all den notwendigen Umschlägen und Markierungsmaterialien gepackt worden ist – mit Post-its, Gummibänder für die Wahlscheinpakete, Tesa-Abrolldings plus Notfallschere, falls da was nicht funktioniert. Sagen wir es so: Ich war durchaus beeindruckt.
  2. Der spannendste Job während der Wahl ist der an der Ausgabe der Wahlzettel. Bei hoher Wahlbeteiligung hat man in seiner Schicht einfach immer was zu tun. Weiterer Vorteil, wenn man im Wahllokal des eigenen Stadtviertels eingesetzt wird: Du erfährst endlich, wie die Leute aus deiner Straße heißen, die du zwar regelmäßig freundlich gegrüßt und mit ihnen gesmalltalkt hast, aber keinen Namen kanntest.
  3. Natürlich kann ich mich täuschen, aber ich habe bei vielen Menschen, die das Wahllokal betreten haben, gespürt, mit welcher Absicht sie hierhergekommen sind. Eine gewisse Grundaggressivität in der Aura bei der Protestwahl, das freundliche Lächeln meinerseits durfte keinesfalls erwidert werden. Die Demokratiefans, die selbst in ihrem manchmal hohen Alter stolz zur Urne schreiten. Die Familien, die ihre Kinder an Politik heranführen und diese sogar mit in die Wahlkabine nehmen wollen.
  4. Nachdem ich an der Schulung teilgenommen hatte, war ich bereits schwer beeindruckt, von dem Auszählprozedere, dass da angepriesen wurde und vermutlich über Jahre erprobt und optimiert wurde. Dass meine erfahrenen Kolleginnen dieses Prozedere allerdings nochmal optimiert hatten – Chapeau.
  5. In jeder Gruppe gibt es die Skeptiker, die Mitläufer, diejenigen, die voranschreiten, die ausgleichen und deeskalierend wirken. Auch das war sehr schön zu beobachten, auch wenn ich natürlich Teil dieses Systems war.
  6. Ich war tatsächlich schon um kurz nach 20 Uhr zu Hause.
  7. Seit 2016 habe ich keine Wahl mehr in einer Redaktion verfolgt. Seitdem überkam mich jedes Mal an einem Wahlabend die Sehnsucht nach eben jenem Ort, nach dem Befüllen des Livetickers, die Suche nach dem Besonderen in den Geschichten, den besten Bildern, das Verteilen der Inhalte auf die unterschiedlichen Kanäle, dazu Pizza. Sonntag war der Wahlabend, an dem ich all das nicht vermisste, sogar das Gefühl hatte, nichts zu verpassen. Keine Schalten zu irgendwelchen leeren Politikerstatements, die sich entweder feiern, Niederlagen eingestehen oder auf den Verlauf des Abends hoffen. Nichts. Stattdessen konzentriertes Zählen und Sortieren. Herrlich.
  8. Im Nachhinein habe ich in diversen Blogs (!) von anderen Erfahrungsberichten gelesen. Und habe den Eindruck, dass die Hamburger ihr eigenes Prozedere entwickelt haben. Kann es sein, dass man nicht einmal auf solchen Ebenen Synergien hebt, sondern vermutlich sogar jeder Wahlkreis sein eigenes Süppchen kocht? Überraschen würde es mich nicht. Nur enttäuschen.
  9. Ich hätte nicht gedacht, dass mich konzentriertes Zählen so sehr anstrengt. Um zehn Uhr lag ich im Bett. Ein paar Minuten später war ich eingeschlafen (Zeugenbericht).

Jahresendzeitfragebogen 2024

Schöne Momente in 2024

Ich bin noch nicht so weit, mich von dieser Tradition zu verabschieden, auch wenn das Blog hier ganz schön vernachlässigt wurde. Tut sich hier wenigstens einmal im Jahr etwas.

2024 war so vieles auf einmal. Oft wahnsinnig viel zu tun, dann zwischenzeitlich aber auch Ruhephasen, die ungewohnt daher kamen. Ich habe das siebte Jahr meiner Selbstständigkeit hinter mich gebracht und auf diesem Weg viel über mich und die Art, wie ich arbeiten möchte, nachgedacht. Es war nicht verflixt, aber mir ist durchaus bewusst geworden, dass ich noch nie so lange in einer Anstellung bei einem Arbeitgeber war wie bei mir selbst.

Ich habe mich viel bewegt, viel Sport getrieben, mich ziemlich häufig gesund ernährt, gegen Ende des Jahres auch viel auf meine Schlafhygiene geachtet. Das beste daran: Es tut mir gut. Und dann waren da aber auch viele schöne Momente – an diversen Seen und endlich auch mal wieder auf Helgoland.

Mehr dazu wie jedes Jahr (siehe unten) in diesem Fragebogen.

Zugenommen oder abgenommen Körpergefühl?

Gut. Liegt mit Sicherheit daran, dass ich es in diesem Jahr wirklich durchgezogen habe, fast jeden Tag mit Yoga in den Tag zu starten. Und dass ich in der zweiten Jahreshälfte wieder ernsthafter gelaufen bin. Zuletzt stabile sieben Kilometer am Stück. Und am letzten Tag des Jahres will ich die 10 km in Angriff nehmen. Mal schauen.

Mehr bewegt oder weniger?
Mehr. Hab auch die durchschnittliche Schrittzahl von 2023 um Längen geknackt.

Haare länger oder kürzer?

Jetzt gerade länger. Aber am 2.1. habe ich einen Friseurtermin.

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?

Es sind Veränderungen im Gang, ich werde das demnächst checken lassen.

Mehr ausgegeben oder weniger?

Ähnlich wie im vergangenen Jahr.

Der hirnrissigste Plan?

Anfang des Jahres den Beschluss fassen, wieder wenigstens einmal im Monat zu bloggen. Grandios gescheitert. Dafür aber weiter Newsletter geschrieben und auch dort drüben viel geschrieben.

Die gefährlichste Unternehmung?

Ich neige nicht mehr zu gefährlichen Unternehmungen.

Die teuerste Anschaffung?

Die neue Waschmaschine?

Das leckerste Essen?

Es gibt nichts über einen guten Ramen. Und ich habe in diesem Jahr mein selbstgemachtes Hühnchencurry perfektioniert. Muss jetzt nur noch am Reis arbeiten. Das leckerste Essen gab es aber in Berlin, bei diesem tollen Inder in meinem alten Viertel.

Das beeindruckendste Buch?

Wirklich beeindruckt hat mich „Alle, außer mir“ von Francesca Mandri. Alle Bücher 2024 gibt’s hier.

Der berührendste Film?

Keine Filme, dafür Serien. Am berührendsten: Shrinking.

Das beste Lied?

Wenig Musik gehört.

Das schönste Konzert?

Vielleicht überraschend, aber ich mochte Helge Schneider in der Tonhalle wirklich sehr. Aber ich war auch auf sehr wenigen Konzerten in diesem Jahr. Aber auch Olli Schulz in Köln war großartig.

Die meiste Zeit verbracht mit?

Arbeit und Familie.

Die schönste Zeit verbracht mit?

Den Jungs. Und mit mir.

Vorherrschendes Gefühl 2024?

Unruhig.

2024 zum ersten Mal getan?

Am Reschensee gewesen, Bad Münstereifel besucht. Nach Neuwerk gelaufen. Das zweite Kind aus der Grundschule verabschiedet. Den 13. Geburtstag eines Sohnes gefeiert. Einen Vortrag auf der republica gehalten. Bei einer Champagner-Probe gewesen. Im Schauspiel Köln den Sommernachtstraum geschaut. Vor Rührung in der Aufführung „Emil und die Detektive“ Tränen verdrückt. In Neuss die Goldenen Blogger gefeiert. Angefangen, italienisch zu lernen.

2024 nach langer Zeit wieder getan?

Auf Helgoland gewesen. Bei einem Bernd-Begemann-Konzert gewesen – allein. Im Haus übernachtet, in der meine letzte Berlin-Wohnung war. Rharbarberkuchen gebacken. Im Kindertheater gewesen. Mit meiner Mutter verreist. Eine Fremdsprache gelernt, zumindest damit angefangen. Einen 10-Kilometer-Lauf geschafft.

Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?

Streit. Tränen. Nächtliche Wachphasen.

Drei Dinge, auf die ich nicht hätte verzichten wollen?

Bücher. Yogamatte. Rote Bete.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Vertrau dir.

Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

Schwierigkeiten gehören dazu. Man muss nur dafür sorgen, dass man die Schwierigkeiten kriegt, die zu einem passen. (Nicht gesagt, aber ich hab das gelesen und das ist ja quasi gesagt. Die Worte stammen von Matthijs Deen und seinem Übersetzer Andreas Ecke)

2024 war in einem Wort?

Turbulent.

Wer sich nochmal durch die vergangenen Jahre klicken will: 20232022, 20212020, 2019, 2018, 2017, 2016, 2015, 2014, 2013, 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2007, 2006, 2005, 2004, 2003

2024: Das Jahr in Büchern

Wenn ich dieses Lesejahr einer Autorin zuordnen müsste, dann wäre es Elizabeth Strout. Niemals hätte ich gedacht, dass ich in diesem Jahr so viele Bücher von einer einzigen Autorin lesen würde. Schon gar nicht, weil ich mehr oder wenig durch Zufall in ihr Werk eingestiegen bin: Mir hat das Buchcover von „Die Unvollkommenheit der Liebe“ gefallen. Das Buch erzählt die Geschichte der Schriftstellerin Lucy Barton, die längere Zeit im Krankenhaus verbringen muss. Dort kommt ihr Mutter zu Besuch, die Geschichten aus der Vergangenheit mitbringt und sie dazu bringt, sich mit ihrer Identität auseinanderzusetzen.

Als ich dann entdeckte, dass es noch mehr Bücher über Lucy Barton gibt, bin ich drangeblieben, habe später ihre andere Romanfigur „Olive Knitteridge“ kennengelernt und habe mein Lesejahr mit dem neuesten Werk beendet: „Tell me everything“, in dem Lucy und Olive aufeinander treffen und ich noch mehr Inspiration erhalten habe, mich 2025 mit weiteren Strout-Büchern zu befassen.

Nun, mit 45 Büchern war das ein wirklich großes Lesejahr. Hier die Liste – in kursiv alle Bücher, die ich gehört habe, alle Bücher mit Sternchen empfehle ich. Und auch in diesem Jahr habe ich meinen Goodreads-Account gepflegt.

David Walliams – Die schlimmsten Eltern der Welt

Wlada Kolosowa – Der Hausmann

Nele Pollatschek – Kleine Probleme

Dörte Hansen – Altes Land

Judith Poznan – Prima Aussicht

Mathijs Deen – Der Taucher

Marco Balzano – Ich bleibe hier*
Bis zum Jahr 1950 gehörte der Kirchturm der alten Pfarrkirche St. Katharina zu dem Dorf „Alt-Graun“. Doch dann fiel das Dorf dem Bau eines Stausees zum Opfer. Mehr als 150 Familien mussten umziehen, wurden sehr bescheiden entschädigt. Sie mussten ihre Heimat aufgeben und neu anfangen. Wie ein Mahnmal ragt dieser Kirchturm aus dem Wasser des Reschensees. Mittlerweile steht er sogar unter Denkmalschutz. „Ich bleibe hier“ erzählt die Geschichte von Trina, die gemeinsam mit ihrem Mann in dem Südtiroler Dorf Graun lebt. Sie erlebt die 1930er und 40er Jahre, die Zeit des zweiten Weltkriegs und immer wieder die Angst, irgendwann alles zu verlieren. Zwischendurch keimt Hoffnung auf, weil die Bauarbeiten durch den zweiten Weltkrieg gestoppt werden. Und auch als 1947 wieder mit den Arbeiten begonnen wird, bleibt die Hoffnung.

Das Spannende an Buch und Kirchturm: Es ist eine Geschichte, die auch eine Südtiroler Geschichte ist. Wie schwer es für die deutschsprachige Bevölkerung von Südtirol in der Mussolini-Zeit war. Wie sie selbst zwischen den italienischen Faschisten und den deutschen Nationalsozialisten unterscheiden. Ein berührendes Buch, das einen anderen Blick auf das Social-Media-Phänomen wirft.

Mona Ameziane – Auf Basidis Dach

Elizabeth Strout – Die Unvollkommenheit der Liebe*

Elizabeth Strout – Alles ist möglich*

Elizabeth Strout – Oh William!*

Claire Keegan – Kleine Dinge wie diese*

Elizabeth Strout – Am Meer*

Ewald Arenz – Der Duft der Schokolade

Annika Büsing – Nordstadt

Sheila de Liz – Woman on Fire (Inhalt top, Form puh)

Elvira Sastre – Die Tage ohne dich

Caroline Wahl – Windstärke 17*

Gabrielle Zevin – Tomorrow, and Tomorrow, and Tomorrow*
Abtauchen in eine andere Welt, die Welt der Gamer und Programmierer. Die hochbegabte Informatikstudentin Sadie trifft auf ihren Freund aus Kindestagen. Beide beginnen an einem Spiel zu arbeiten und es wird schnell klar, dass sie ein (immer noch) ein gutes Team sind. Doch mit dem Erfolg brechen Rivalitäten auf. Ein wunderbares Buch über das Scheitern, Verluste und Freundschaft.

Franziska Gänsler – Ewig Sommer
„Ewig Sommer“ von Franziska Gänsler beschreibt einen Sommer, den ich zumindest auch nicht haben will. Das Buch malt eine Zukunft, die in den vergangenen Jahren näher gerückt ist und den viele Menschen in einigen Teilen Europas bereits erlebt haben.  Man hat das Gefühl, als wäre man mittendrin – im Rauch und in den Lebensgeschichten dieser Frauen. Und stellt sich gleichzeitig die Fragen: Was macht einen Ort lebenswert? Wem vertraue ich? Und worauf habe ich Einfluss?

Mathijs Deen – Der Retter

Katherine Rundell – Why you should read children’s books, even though you are so old*
Wer sich als Elternteil hin und wieder fragt, ob es wirklich sein muss, sich mit dieser vermeintlich seichten Lektüre zu beschäftigen, dem sei dieses Buch empfohlen. Zudem hat mir die Lektüre nochmal ein paar Gedanken dazu geliefert, warum ich so gerne lese. 
„There are good books which are only for adults, because their comprehension presupposes adult experiences, but there are no good books which are only for children.“

Miranda Cowley Heller – Der Papierpalast

Alex Capus – Léon und Louise*

Francesca Melandri – Alle, außer mir*
Was, wenn plötzlich ein Junge vor deiner Tür steht und behauptet, mit dir verwandt zu sein? Ein Junge, der nicht dieselbe Hautfarbe hat wie du selbst. Ein Junge, der nach und nach eine Familiengeschichte offenlegt, über die bisher geschwiegen wurde. Eine Familiengeschichte, nach der du nie gefragt hast. Vermutlich auch, weil es bequemer war. Das ist die Geschichte von „Alle, außer mir“ von Francesca Melandri. Das Buch hält dir den Spiegel vor: Wie viel weißt du eigentlich über den afrikanischen Kontinent und seine Konflikte? Wie stark hat Rassismus ganze Generationen geprägt und herrscht auch jetzt noch unbewusst und bewusst in uns selbst? Das Buch ist harte Kost, aber ich habe keine Sekunde der unzähligen Stunden bereut, die ich in die insgesamt 608 Seiten gesteckt habe.

Stephen King – On Writing: A Memoir of the Craft*
Stephen King beschreibt, wie er zum Schreiben gekommen ist, wie viele Absagen seinen Karriereweg pflasterten und wie es ihm gelungen ist, zum Bestsellerautor zu werden. Gleichzeitig gibt er aber auch Tipps, wie man ins Schreiben kommt, wie man Geschichten aufbaut, auf welche Formalien er Wert legt (Raus mit den Adjektiven, Bilder im Kopf erzeugen, etc.) und für wen er schreibt, wenn er schreibt.

„If you write (or paint or dance or sculpt or sing, I suppose), someone will try to make you feel lousy about it, that’s all.“

Elisabeth Rank – Und im Zweifel für dich selbst

Julie Otsuka – Solange wir schwimmen*
Ein Buch, das mich vor allem durch seine Sprache beeindruckt hat. Hab es gehört. Es ist so anders und genau deshalb lohnenswert.

Julie Otsuka – Wovon wir träumten

Susanne Abel – Stay away from Gretchen: Eine unmögliche Liebe*
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland rund 350.000 Asylanträge gestellt – im Jahr 2016 waren es 745.545. Das ist das Jahr, in dem das Buch „Stay away from Gretchen“ spielt. Es erzählt die Geschichte des Fernsehjournalisten Tom Monderath und seiner Mutter Greta.

Das 2021 erschienene Buch ist das Debüt der Autorin Susanne Abel und es ist für mich das emotionalste Buch, dass ich in diesem Jahr gelesen habe. Es hat mich mitgerissen, es hat mich hassen lassen, es hat mich fassungslos gemacht. Z.B., weil mir nicht bewusst war, dass die Ideologie der Nazis auch nach Kriegsende so tief in den Menschen verankert war, dass sie sogar bereit waren, ihre eigenen Kinder dafür zu opfern. Dass alleinstehende Mütter so wenige Rechte hatten, obwohl doch im Grundgesetz steht, dass alle Menschen gleich sind.

Elke Heidenreich hat über das Buch gesagt: „Ein spannender Roman zu einem wichtigen, vergessenen Thema“. Ich stimme ihr zu und ergänze: Susanne Abel kann große Geschichten erzählen. 

Dirk Stermann – „Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen“*
Erika Freeman ist Wienerin. Auch wenn sie viele Jahrzehnte in New York lebte. Im hohen Alter von über 90 Jahren kehrt sie in die österreichische Hauptstadt zurück und frühstückt jeden Mittwoch mit Dirk Stermann, dem Moderator der TV-Sendung „Willkommen Österreich“. Über diese Begegnungen hat eben dieser ein Buch geschrieben. Und so entblättert sich das Leben der Psychoanalytikerin und Therapeutin, die selbst zu einer Berühmtheit geworden ist. 
Auch dieses Buch habe ich gehört. Die wunderbare Adele Neuhauser liest es vor und es gelingt ihr, dass ich wirklich das Gefühl hatte, im Frühstücksraum des Hotels Imperial zu sitzen und dieser Frau zuzuhören. Das Buch mahnt, aber es macht auch Mut. Denn wir Menschen können aus Rückschlägen auch Kraft ziehen und Dinge möglich machen, von denen wir zunächst nicht glauben, dass wir dazu fähig sind. 

Susanne Abel – Was ich nie gesagt habe: Gretchens Schicksalsfamilie

Elizabeth Strout – Mit Blick aufs Meer

Elizabeth Strout – Die langen Abende*

Manfred Krug – Ich beginne wieder von vorn: Tagebücher 2000-2001*
Das Buch umfasst Auszüge aus dem Tagebuch des Schauspielers, Sängers und Menschen Manfred Krug. Es ist der dritte Teil dieser Reihe und wie der Titel es sagt, handelt er von den Jahren 2000 und 2001, eine Zeit, in der Krug den Tatort-Job an den Nagel hängt, er durch seine Telekom-Aktien-Werbung in die Kritik gerät und mit den Folgen des Alterns zu kämpfen hat. Ich würde auf jeden Fall empfehlen, es zu hören: Es wird wieder von seinem Sohn gelesen.

Steffen Mau – Ungleich vereint*
Steffen Mau erklärt, warum die Ostdeutschen wählen, wie sie wählen. Warum der eine oder andere in Westdeutschland Lebende sie nicht versteht. Die Ursachen sind vielschichtig. Es beginnt damit, was viele Menschen in der Nachwendezeit erlebt haben, wie mit ihnen umgegangen wurde und wer sich ihrer Sorgen und Gefühle angenommen hat. Es liegt daran, welche Partizipationsmechanismen erlernt und gleichzeitig verlernt worden sind. 

Was ich an dem Buch aber vor allem mochte: Der Autor hat sich auch Gedanken darüber gemacht, was nun helfen würde. Nicht kurzfristig, aber mittel- bis langfristig. Er zeichnet dabei die Idee, dass Ostdeutschland ein Labor der Partizipation werden könnte, weil sich ohnehin überall das Parteienspektrum weiter diversifizieren werde. Tolles Buch. 

Oksana Havryliv – Nur ein Depp würde dieses Buch kaufen: Wirklich ALLES über das Schimpfen*
Sehr inspirierendes Buch über das Schimpfen. Und hier hab ich ein bisschen mehr drüber geschrieben.

Mariana Leky – Was man von hier aus sehen kann*
Ja, ich habe diesen Bestseller erst in diesem Jahr gelesen, weil ich häufig eher vorsichtig bin, wenn sich Bücher sehr gut verkaufen. Ich mochte die Sprache sehr.

Katja Oskamp – Die vorletzte Frau*

Alina Bronsky – Pi mal Daumen

Gail Honeyman – Eleonor Oliphant is completely fine*
Das Debüt von Gail Honeyman hat es in sich: Eleanor Oliphant legt wenig wert auf Äußerlichkeiten, verbringt viel Zeit allein und hat einen einfachen Verwaltungsjob. Doch dann lernt sie, dass menschliche Nähe auch schön sein kann.

Katja Oskamp – Hellersdorfer Perle

Daniel Schreiber – Die Zeit der Verluste*

Lucy Fricke – Das Fest

Elizabeth Strout – Tell me everything*

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Kunst, Faschismus, Italienisch in der Praxis – ein Ausflug nach Rovereto

„Mama, was ist eigentlich Faschismus?“, werde ich vom 9-Jährigen gefragt und muss erstmal googeln, um eine einfache Definition zu finden. Denn wir haben uns entschieden, im Mart in Rovereto, Italien, auch die Sonderausstellung zu besuchen: Kunst und Faschismus

Die Ausstellung zeigt Werke, die in der 20-jährigen Herrschaft Mussolinis entstanden sind. Während es zunächst um Themen wie Reinheit, die intakte Familie geht, kommen dann kriegs- und gewaltverherrlichende Motive dazu. Körperkult und immer wieder Mussolini selbst. 

Tolle Aufstellung, tolles Museum. 

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Ich lese gerade parallel „Alle außer mir“ von Francesca Melandri, ein Buch, das wohl vor einigen Jahren gefeiert wurde, weil es ein Bild Italiens des 20. Jahrhunderts zeichnet – das Verhältnis zum Faschismus, die Kolonialzeit. Erstaunlich, wie sich manche Dinge wie durch Zufall fügen.

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Ansonsten hat Roveroto auch noch eine sehr hübsche und verwinkelte Altstadt zu bieten. (I know, da gibt es auch noch eine Burg, ein Kriegsmuseum und einen zweiten Teil des Museums.)

Mein persönliches Highlight war allerdings, dass ich meine Italienischskills erproben konnte. Die Bedienung in der Bar wechselte mangels Skills nicht direkt ins Englische oder Deutsche. Wir orderten Brote und Getränke, Kaffee und Süßes und die 193 Tage Italienischkurs hatten sich schon ausgezahlt.

Bonusrunde: Ich erkannte an der Inschrift im Gemäuer, dass nun ein Hutgeschäft kommt – Vokabeln lernen mit Duolingo hilft. 

Die Eissorte Orange, Kurkuma, Peperoni ist übrigens eine Empfehlung! (Und laktosefrei.)

Notizen vom Gardasee

Diese Hoffnung auf dem Weg zum Strand, ob man die Brut dazu bekommen hat, dass der Wind noch nicht gedreht hat und der erste Gang ins kühle Nass noch wellenlos gelingt. 

Wer sich für diese Windgeschichte interessiert, dem empfehle ich die Lektüre des Wikipediaeintrags.

In der Praxis sieht das ungefähr so aus: Bis zirka 13 Uhr ist das Wasser ruhig wie an einem ganz normalen Badesee. Irgendwann kommt ein Lüftchen auf, das ist der Moment, in dem die ersten Surfer am Horizont auf dem See zu erkennen sind. Dann dauert es noch ungefähr 20 Minuten und das Wellenbad ist eröffnet. Man kann sich von nun an in die Wellen werfen, Wellen reiten, ein bisschen rausschwimmen und sich von den Wellen zurück ans Ufer treiben lassen. Im Schatten ist es nun fast ein wenig kühl, zumindest so kühl, dass man entweder die nasse Badekleidung ausziehen sollte oder sich zum Trocknen in die Sonne legt. Eingecremt versteht sich. 

Gegen 17 Uhr flacht der Wind dann wieder ab. Der See wird ruhiger. Jetzt bleiben noch gut anderthalb Stunden, bis die Sonne hinter dem Berg verschwindet und die Luft kühler wird und der letzte Badegang eingeläutet wird. Ab dann trocknet die Kleidung nicht mehr am Körper. Entweder geht man nun nach Hause, oder wechselt in trockene Kleidung und lässt den Abend auf der Wiese mit geholter Pizza oder an einer der Strandbars ausklingen.

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Bestell ein alkoholfreies Weizen und gebe dich als Deutsche zu erkennen. 

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Angesagte Bademode lässt sich hervorragend an Heranwachsenden erkennen. Jungs tragen eine lange Badehose, die im besten Fall bis kurz über dem Knie enden. Ist diese nicht verfügbar, hilft man sich mit einer Sporthose aus. Wichtiges Accessoire: Unterhose drunter. So eine Shorts, gerne in schwarz, wo die Marke im Gummibündchen verwebt ist. Je vorzeigbarer die Marke, desto tiefer sitzt die Badehose. 

Bei den Frauen ist es recht einfach: Passend zur Haarfarbe tragen hier alle einen schwarzen Bikini mit einem Höschen, dass die Pobacken freilegt. 

Je älter, desto farbenfroher wird die Bademode und desto wahrscheinlicher Badeanzug.

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Das Balzverhalten der Heranwachsenden unterscheidet sich nur geringfügig von dem meiner Generation. Man sitzt zusammen, hört Musik und wenn es zu heiß wird, verlagert man das ganze auf den nahegelegenden Steg. Einer der Jungs macht den DJ, trägt die Box und gibt die Moves vor. Die anderen stehen um ihn herum, bewegen sich zu den Rhythmen und verabschieden sich mit einem beeindruckenden Sprung ins Nass. Wenig später wird auf der Wiese eine Art Volleyball gespielt, wobei es vor allem darauf ankommt, sich gut zu bewegen. Also nicht im sportlichen Sinne sondern im Sinne der Attraktivität. Es wird gekichert, Köpfe werden zusammengesteckt, Zigaretten machen die Runde. Und dann geht es wieder zum Steg.

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Tbc.