Nachwuchs

So kannte ich ihn nie. So menschlich. Immer korrekt, bloß kein privates Wort. Nicht einmal sein Alter war mir bekannt. Verstanden haben wir uns stets gut. Wir scherzten, und meist lag auch ein dummer Spruch auf unseren Lippen. Gespräche waren konstruktiv, so machte das Schreiben Spaß, und obwohl er immer einen vollen Terminkalender hatte – es fand sich meist ein halbes Stündchen für den Gedankenaustausch, damit ich weiter kam.

Auch nach dem Projekt gab es Zeit für einen Plausch, den Kontakt pflegen, auch wenn wir meist Oberflächlichkeiten austauschten. Und heute? Ein Abschiedstreffen war es. Aber auch ein werdender Vater zeigt Gefühle und nach nur fünf Minuten schaute ich in glänzende Augen, die begeistert von der Namensfindung und dem baldigen Geburtstermin berichteten.

Wie können Menschen nur so gemein sein und bei dem Wunschnamen einer jungen Familie mit den Worten reagieren: Nimm diesen bloß nicht! Ich finde das herzlos. Gemein und überhaupt nicht taktvoll. Und schon gar nicht, wenn es ein schöner Name ist.
Was ich aus diesem Treffen mitnehme? Zwar weiß ich immer noch nicht sein Alter, dafür aber kenne ich ein anderes wunderbares Detail, welches in den nächsten Wochen sein Leben bereichern wird. Und das ist großartig.

Spieleabende

Samstag Abende. Ich wusste nicht mehr, dass man auch solche miteinander verbringen kann. Zu lange hatte ich mich vor ähnlichen Versammlungen gedrückt. „Nee, lass mal“ – „Hab schon was vor…“ – oder die ehrliche Variante: „Steh ich nicht so drauf…“ dienten immer wieder als Ausreden.

Die Zutaten: Ein herrliches Essen. Mit Suppe, Hauptgang und Nachtisch. Ein Trivial Pursuit-Spiel, Globetrotter-Ausgabe, in englischer Sprache versteht sich. Wahlweise Wein, Bier, Saft oder Wasser. Drei Pärchen.

Und was macht man dann den lieben langen Abend? Spielen. Während des Essens, nach dem Essen. Bloß keine wirkliche Unterhaltung beginnen. Und so erfährt der geneigte Mitspieler nicht, was die Menschen um ihn herum gerade treiben, wer sich mit wem versteht, welche neuen Herausforderungen anstehen, welche Perspektiven sich durch eine Kündigung auftun könnten. Warum auch? Unterhalten kann man sich ja auch wann anders.

Auch als zu späterer Stunde dann noch Tabu herausgekramt wird, wird’s nicht viel besser. Weder der Spielewechsel noch die bisher zugeführten Alkoholmengen sorgen dafür, dass die Stimmung aufkocht. Schade. Und wohl der letzte Spieleabende für die nächste Zeit.

Berlin.

Wenn der Zug in Spandau einfährt. Rechts die Springer-Druckerei. Irgendwann der S-Bahnhof Messe-Süd. Beim Bahnhof Charlottenburg heißt es Sachen packen. Aufstehen, Jacke überziehen. Der Zug wird langsamer. Immer langsamer, wenn er die letzte Kurve zum Bahnhof Zoo nimmt. Dann fährt er ein. Ein komisches Gefühl. So werde ich Berlin bald wieder öfters empfangen.
Ich hasse Kisten packen. Auf ins Schlafzimmer. Entrümpeln und soweit räumen, damit wir das Bett abbauen können. Und den Schrank.

Kisten

Ein komisches Gefühl. Hier sitzen, zwischen halb gepackten Kisten. Mit dem Drang flüchten zu wollen. Vorm Weiterpacken. Und dem Rest.

Ausdrucken. Aufhängen. Erinnern.

Das Gute an Umzügen ist ja, dass man endlich mal wieder die Chance hat, sein bisheriges Leben Revue passieren zu lassen. Wann ist nochmal dieses Foto entstanden? Wer hat mir denn noch dieses scheußliche Ding geschenkt? (Die Rede ist von einer tönernden Glocke, bemalt mit ein paar Baummotiven…).
Was kann ich endlich mal wegschmeißen? Brauche ich die schon recht klein gespitzten Buntstifte noch? Sollte ich wirklich die Kontoauszüge von 1999 bis 2001 auch noch die nächsten Jahre archivieren? Und was ist mit den vielen leeren CD-Hüllen, die beim – Achtung, Kalauer! – „Verbrennen“ von CDs übrig geblieben sind?
Andererseits findet man Dinge, von denen man glaubte, dass sie längst verschollen auf einer Müllhalde am Rande der Stadt liegen. Die mittlerweile stark angestaubten Jonglierbälle finden sich wieder, der immer noch wunderbar funktionierende Walkman taucht aus den dunkelsten Ecken wieder auf und man fragt sich, ob man wirklich jemals noch einmal die alten Kassetten, die man in der Schulzeit in stundenlanger Kleinstarbeit mit viel Liebe aufgenommen hatte, hören wird.
Doch die größte Herausforderung im Leben einer jungen Frau, ja noch würde ich mich als eine solche bezeichnen, ist die Räumung des Kleiderschranks. Ein Graus. Jedes ausleihernde T-Shirt wird zu einem Sport-Shirt, so dass ich eigentlich stündlich das Shirt wechseln kann, alte Slips werden nicht etwa gleich in den Müll geworfen – nein, die sind doch noch gut für die besonderen Tage…
Nein. Ich werde stark sein. Und eine liebe Freundin wird mir helfen! Aufpassen, dass ich ja nicht zu viel behalte, sondern alles schön in die große Tüte wandert. Und unter Aufsicht wird diese dann entsorgt. Jawohl. Und gleich werde ich mir auch diesen Artikel ausdrucken. Wie trenne ich mich von meinem Lieblingshemd. Empfohlene Dosis für alle Betroffenen: Dreimal täglich lesen. Immer und immer wieder. Bis es endlich klappt. Mit der Trennung.

Unternehmen im Test, Teil 2

Furchtbar schlau wollte ich heute sein. Nachdem der Versuch ja gescheitert war, meinen Umzug weitestgehend über das Internet zu planen und weil ich eh dort vorbei musste, ging ich dann in die Post. Amazon-Paket abholen und auch gleich den Nachsendeauftrag einrichten. Ein Abwasch halt. Die freundliche Dame am Schalter, nein, nicht die mit der gefönten 80er-Jahre-Frisur, war auch sehr hilfsbereit und bot mir an, auch gleich noch den Stromanbieter zu wechseln und mein Telefon umzumelden.
Telefon ummelden? Musste ich ja eh, also warum nicht auch gleich noch ausprobieren, wie gut denn Deutsche Post und Deutsche Telekom zusammen arbeiten. Gesagt getan, alles fein ausgefüllt, wobei die gute Frau den Antrag gleich zweimal ausfüllte: „Da drückste einmal ne falsche Taste, da ist das alles gleich wieder weg…!“ Während sie mir dann die Bestätigung für den Auftrag in die Hände drückte, artikulierte ich meine Verwunderung, dass sie so ganz ohne meine jetzige Telefonnummer zu wissen, meinen Anschluss abgemeldet zu haben schien, woraufhin mich große blaue Augen anstarrten (ja, der Satz ist jetzt arg lang geworden…): „…äh, na, da müssen sie jetzt nur noch diese Nummer anrufen, damit die auch Bescheid wissen…!“ Fein gemacht, dachte ich nur, und schwor mir nur noch direkten Kontakt zu den Telekomisten zu halten. Wenn schon, denn schon…
Ach ja, und für alle die es wissen wollen: Wer über die Post den Stromanbieter wechselt, muss man sich für Ökostrom entscheiden. Dreimal dürft ihr raten, ob ich da auch noch mitgemacht habe…

Unternehmen im Test, Teil 1

Umziehen leicht gemacht – dachte ich mir und meldete mich bei der Telekom an, um zu schauen, ob ich diese ganzen Vertragsumstellungen von einer Wohnung in der einen Stadt zur neuen in der anderen Stadt auch über das Internet lösen könnte. Wie gesagt: Könnte. Zwar kann ich mich ganz wunderbar anmelden, doch bekomme ich kurz darauf eine E-Mail, in der sich die liebe Firma dafür bedankt, dass ich mich anmelde, mich jedoch auf einen baldigen Brief in meinem Briefkasten verweist. Dort werde ich mein Passwort finden, mit dem ich dann endlich die wunderbare Servicewelt der Telekom im Internet nutzen kann.
Geh ich jetzt doch in den T-Punkt an der Ecke?

ich hab was.

Manchmal muss man einfach auch mal ne Hauruck-Aktion wagen. Morgens losfahren, Termine machen (fuck the Funklöcher) und dann los. Mit dem Stadtplan quer durch die Stadt. Irgendwie doch noch die beste Möglichkeit, eine neue Umgebung kennenzulernen. Und irgendwann zu wissen: Ja, hier könnte man wohnen.
Und nachdem ich letztens noch mit dem Gedanken spielte, mir eine neue Brille anzuschaffen, ist diese Idee in weite Ferne gerückt! Schließlich wusste ich nicht, dass es auch den Anmachspruch „Eyh, deine Brille ist ja cool, wo kriegt man die denn…?“ gibt. Und wenn man in eine neue Stadt kommt, dann muss man auch auf kleine Hilfsmittel bauen.

Unruhe

Dieses Gefühl in der Magengegend, welches mich um halb sieben wach werden lässt. Die vielen Dinge, die in meinem Kopf herumschwirren, das zu Organisierende trieb mich dann auch um zehn vor sieben an den Schreibtisch. Preise vergleichen, Wohnungsanzeigen anschauen. Gegen halb neun die ersten Anrufe, damit ich endlich wieder einige Punkte auf der To-do-Liste durchstreichen kann. Und das geht jetzt die nächsten zwei Wochen so?

Abschied

Ich hätte nicht gedacht, dass mir das Gehen so schwer fallen könnte. Kiste packen, mit den Verbliebenen Worte austauschen. Und am Ende von fast drei Jahren bleibt nicht mehr als eine Kiste mit ein paar Zetteln, einer leeren Flasche Volvic, einer Tasse und ein paar Zeitungsartikeln. Mehr nicht.
Vor dem Fahrstuhl tief durchatmen. Die Gefühle ordnen, einsteigen und runterfahren. Draußen empfängt mich der kalte Berliner Wind. Ein rauher Wind.